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IM GESPRÄCH MIT BRIAN O’MALLEY, DEM REGISSEUR VON LET US PREY

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BIG TROUBLE IN LITTLE SCOTLAND – LET US PREY NICHT NUR ZU HALLOWEEN

 

In der DEADLINE #50 haben wir eine kürzere Version des Interview mit dem gesprächigen Brian O´Malley gedruckt. Dort findet ihr neben dem Review von LET US PREY ebenso ein Interview mit Hauptdastellerin Pollyanna McIntosh. Hier diese Langversion des Interviews könnt ihr auch in der ungeschnittenen Mediabook-Version lesen.

 

DEADLINE: Wie sind die Produzenten von LET US PREY auf dich aufmerksam geworden?

 

Brian O’Malley: Ich hatte den Kurzfilm SCREWBACK mit Liam Cunningham in der Hauptrolle vor zehn Jahren gemacht. Eine Art Genrefilm, in dem es um den kriminellen Untergrund geht. Der schien den Produzenten gefallen zu haben. Um das Budget des Films in Grenzen zu halten, benötigten sie einen Regisseur, der bereits Erfahrung mit Genrefilmen hatte. Außerdem kannten sie meine TV-Spots, die ich seit vielen Jahren für die verschiedensten Marken gemacht habe, und auch daher hatten sie Vertrauen in meine Arbeit. Sie wussten, dass ich ein gutes Zeitmanagement habe. Wenn ich einen Spot drehe, frage ich immer, wie viel Zeit ich noch zur Verfügung habe, und dann setze ich es auch in der vorgegebenen Zeit um. Das ist eben auch sehr gut und kostensparend für einen Langfilm. Und zu guter Letzt bin ich Ire, was wohl für die Geschichte und Stimmung des Films auch durchaus förderlich war.

 

DEADLINE: Wie bist du überhaupt zum Film gekommen?

 

Brian O’Malley: Ich studierte bildende Kunst und hatte mich auf das Modellieren von Skulpturen spezialisiert. Aber während ich auf der Kunsthochschule war, hatte ich entschieden, dass ich nicht ein armer, verhungernder Künstler werden wollte. Ich liebte es, Skulpturen und Figuren anzufertigen, nicht am Computer, sondern mit richtigem Werkzeug. Ich dachte, ich könnte vielleicht Spezialeffekte für Filme kreieren. Also fing ich an, sehr viele Science-Fiction-Filme zu sehen, da sie mit den meisten Effekten gespickt sind. Ich ging in den Virgin Store, den wir damals hatten, und kaufte eine Videokassette von BLADE RUNNER und eine von David Lynchs DUNE. Ich schaute mir diese beiden Filme jeden Abend an. BLADE RUNNER habe ich einen Monat lang jeden Abend gesehen, und dann machte ich dasselbe mit DUNE. Ich hatte BLADE RUNNER zum ersten Mal gesehen, als ich elf Jahre alt war, aber er überstieg meinen Verstand. Als ich ihn dann als Erwachsener sah, hatte ich also bereits ein Vorwissen, entdeckte aber neue Bedeutungsebenen. Ich verliebte mich in den Film. Das war der Moment, in dem ich beschloss, dass ich lieber ein Regisseur als ein Bildhauer sein wollte. Ich kam in Kontakt mit dem Art Director des Films SPACE TRUCKERS, mit Dennis Hopper. Ich kam zu spät, um noch an dem Film mitzuarbeiten, aber er mochte meine Arbeit, und er wollte mich für ALIEN: RESURRECTION, was sehr aufregend klang. Aber aus irgendwelchen Gründen wurde das dann auch nichts. Hätte ich damals an dem Film mitgewirkt, würde ich jetzt wohl als Künstler für Spezialeffekte auf einem ziemlich hohen Niveau arbeiten und kein Regisseur sein. So gesehen war es auch ein gewisser Glücksfall, dass daraus nichts geworden ist. Ich machte dann ein paar kleinere Musikvideos. Während meiner Zeit an der Kunsthochschule machte ich einen kleinen Science-Fiction-Film mit dem Titel THE BOY WHO CAME BACK über einen Jungen, der in der Zeit zurückreist und sich selber als Kind rettet, eine von diesen Geschichten eben … Und ein Mädchen, welches ich kannte, spielte in einer Band und bat mich, ein Musikvideo für sie zu machen. Ich schaute mir dann ein bisschen MTV an und dachte, oh, das sind aber viele Schnitte, aber das kann ich machen. Dann nahmen wir uns drei Stunden Zeit und drehten das Ding. Ich investierte ziemlich viel Energie in den Schnitt und bekam verschiedene Auszeichnungen dafür. Es schien also, dass ich das ziemlich gut konnte, und so begann ich, immer mehr Musikvideos zu machen, und erreichte ein ziemlich hohes Niveau hier in Irland. Ich fand es toll, bekam aber kaum Geld dafür, und irgendwie hatte ich auch das Verlangen, richtige Geschichten zu erzählen. Ich zeigte dann dem Werbeclip-Produzenten von Red Rage Films meine Musikvideos und fing an, TV-Spots zu drehen. Zu Beginn wollte mich jedoch niemand verpflichten, denn sie wollen immer, dass du bereits Erfahrung hast. Aber irgendwann muss man ja anfangen. Ich drehte dann eine Fake-Werbung mit dem Titel TELETEXT, in der irischer Dialekt mittels Teletext für das Fernsehen untertitelt wurde. Dieser Spot wurde in Großbritannien ziemlich populär und öffnete mir verschiedene Türen. Ich liebe es, Spots zu machen, aber die wahre Erfüllung konnte ich nur als richtiger Regisseur finden. Ich schrieb einen Film mit dem Titel SISK. Ein sehr dunkler, shakespearesker Gangsterfilm. Ein guter Freund von mir, Mark O’Rowe, der unter anderem INTERMISSION geschrieben hat, schrieb die letzten Seiten des Drehbuchs, und es wurde ein sehr angesagtes Skript. Ein Produzent nahm sich dessen an, und viele Leute waren an dem Film interessiert, das war 2009, doch dann brach das Projekt zusammen. Mein Kurzfilm SCREWBACK basierte dann auf diesem Drehbuch. Liam Cunningham hätte die Rolle in SISK übernehmen sollen und machte dann aber für mich den Kurzfilm. 2010 kam dann einer meiner Produzenten mit einer Geschichte über ein kleines Mädchen, das von Burma nach Thailand flieht. Wir spürten, dass man daraus einen tollen Kurzfilm machen konnte, und ich fertigte aus seiner Geschichte ein Drehbuch an. Irland förderte den Film, CROSSING SALWEEN, den wir dann 2011 in Thailand drehten. Als ein Ergebnis von SCREWBACK, CROSSING SALWEEN und meinen TV-Spots bekam ich wohl den Regieposten für LET US PREY. Da mein erstes Langfilmprojekt kollabiert war, suchte ich dringend nach einem Film, den jemand anderes geschrieben hatte, und da kam LET US PREY. Ich wusste, dass das Budget niedrig sein würde, fand aber, dass man die Geschichte trotzdem gebührend umsetzen konnte. Ich wusste, dass, wenn ich gute Drehorte zur Verfügung haben würde, der Film sehr gut aussehen könnte. Meine Stärke ist es, alle Elemente des Films zu kontrollieren, um sicherzugehen, dass wir in der Zeit und im Budget bleiben, ohne dass darunter das Endergebnis leidet. Ich bekam die Gelegenheit, und ich bin sehr zufrieden mit dem fertigen Film.

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DEADLINE: Wie hast du damals den Kontakt zu Liam Cunningham hergestellt?

 

Brian O’Malley: Ich war auf der Premiere von INTERMISSION, und zusammen mit meinem Kumpel Mark O’Rowe stand da Liam Cunningham, und ich war sowohl von seinen physischen wie auch seinen psychischen Fähigkeiten begeistert. Ich arbeitete dann später mit einem Regieassistenten zusammen, der Liam kannte, und bat ihn um seinen Kontakt. Liam ist ein sehr aufrichtiger Mensch. Er schaut sich jedes Skript an, was man ihm zusendet, und er sagt dir klar, was er davon hält. Ihm geht es nicht um Namen oder Budget; wenn er das Skript mag, dann arbeitet er mit dir zusammen. Er unterstützt vor allem junge irische Regisseure. Er las das Drehbuch, rief mich an und sagte, dass er es großartig fände und den Film gerne machen würde. Es war so einfach. Das war der Kurzfilm SCREWBACK. Er ist bis heute sehr stolz auf ihn und bezeichnet ihn gerne als seinen Lieblingskurzfilm. Ursprünglich gab es mehr Dialog, aber er strich ihn und ersetzte ihn durch Blicke und pure Ausdruckskraft, darin ist er sehr gut. Wir wurden Freunde und arbeiten gerne zusammen. Er mag meine visuelle Art. Als es dann um LET US PREY ging, war er sofort Feuer und Flamme. Nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte, hatte ich eine genaue Vorstellung von dieser Figur. Ähnliche wie sie hat man schon viele im Kino gesehen, aber ich wollte etwas Neues. Oft werden diese Rollen wie ein verrückter Rockstar gespielt. Ich wollte aber, dass er sehr ruhig dargestellt wird. Er hat es nicht nötig, irgendjemanden zu beeindrucken. Er ist von Natur aus beeindruckend. Er hat immer alles unter Kontrolle. Ich suchte also nach jemandem, der ohne große Worte sehr präsent ist. Und das ist Liam. Ich fragte die Produzenten, was sie von meiner Idee hielten, und sie waren begeistert, also rief ich ihn an, aber er war gerade in einem Flugzeug, und ich hinterließ ihm eine Nachricht. Er rief mich dann vom Flugplatz aus an und bat mich, ihm das Drehbuch zu schicken. Nach der Lektüre rief er mich zurück und sagte zu, den Film zu machen. Es war erneut sehr einfach. Für mich war es ein großes Glück, denn er sollte bereits mein Hauptdarsteller in meinem ersten, gescheiterten Projekt sein, und nun bekam ich ihn für LET US PREY. Er brachte selber viele Ideen mit in das Projekt ein, er wollte zum Beispiel weniger Dialog, was ich mir bereits dachte. Er kann sehr bedrohlich sein, auch wenn er im Film nicht das Böse verkörpert. Er hat nur einen Job zu erledigen, die anderen sind die Bösen und müssen sich vor seiner Bestrafung fürchten. Wir sahen beide den Charakter sehr ähnlich. Ich hoffe, dass ich erneut mit ihm zusammenarbeiten kann.

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DEADLINE: Wie ist Pollyanna McIntosh zu LET US PREY gestoßen?

 

Brian O’Malley: In dem Film steckt viel schottisches Geld, und entsprechend sollte auch etwas davon in dieses Land zurückfließen. Es gab auch irische Gelder, aber mit mir als Regisseur und anderen irischen Crewmitgliedern waren diese Bedingungen bereits erfüllt. Wir haben dann als Schauplatz für den Film Schottland gewählt und waren noch auf der Suche nach einer sehr starken schottischen Darstellerin für die Hauptrolle neben Liam Cunningham. Auch in Bezug auf den Akzent war es wichtig, echte Schotten in dem Film zu haben, um glaubwürdig zu bleiben. Pollyanna hatte die Qualitäten, nach denen ich suchte, Ripley in ALIEN nicht unähnlich. Ich wollte eine sehr feminine Frau, die aber die Fähigkeit hat, sehr stark zu sein. Sie passt perfekt. Es gibt Ähnlichkeiten zu Ripley im Film. Vor allem am Ende. Ich wollte keine abgebrühte, sondern eine starke Frau. Ich denke, da gibt es einen großen Unterschied. Sie ist verletzlich, aber trotzdem stark.

 

DEADLINE: Ich denke, in diesem Punkt gibt es Gemeinsamkeiten mit deinem Kurzfilm CROSSING SALWEEN. Dort ist die zentrale Figur ein kleines Mädchen, das sich auf den Weg über die Grenze nach Thailand macht.

 

Brian O’Malley: Es ist interessant, dass du das sagst. Als Pollyanna gefragt hatte, wer der Regisseur von LET US PREY sei, gaben wir ihr diesen Kurzfilm. Und er war einer der Gründe, dass sie mit uns zusammenarbeiten wollte. Sie hatte auch SCREWBACK gesehen, aber an CROSSING SALWEEN gefielen ihr die Emotionalität der Geschichte und der Fokus auf den Figuren. Das Kind ist der Held. Als sie das sah, sagte sie Ja.
Auch wenn ich wusste, dass ich einen stellenweise sehr brutalen Genrefilm machte, versuchte ich ihn anders als vergleichbare Werke anzugehen. Für mich war es einfach ein interessantes Drama mit einigen verrückten Elementen. Es ist ein sehr purer Genrefilm, aber die Stimmung und die visuelle Umsetzung sind ähnlich wie in CROSSING SALWEEN, genauso wie die Musik und wie die Personen durch Blicke miteinander interagieren. SCREWBACK ist bereits zehn Jahre alt, aber CROSSING SALWEEN liegt noch nicht so weit zurück, und es war zum Zeitpunkt von LET US PREY das Werk, welches mich am besten repräsentierte. Ich bin gewachsen. Mit SCREWBACK wollte ich einen coolen kleinen Gangsterfilm machen, und ich denke, das ist mir gelungen, aber CROSSING SALWEEN konzentriert sich mehr auf den inneren und äußeren Kampf des Mädchens. Ähnlich wie Pollyannas Figur Rachel in LET US PREY.

 

DEADLINE: Würdest du sagen, dass LET US PREY ein religiöser Film ist?

 

Brian O’Malley: Ja, ich denke, das ist er. Es gibt eine sehr tiefe religiöse Bedeutung. Sehr christlich und vielleicht sogar sehr katholisch, obwohl ich nicht weiß, ob die Autoren Katholiken sind. Ich bin keine religiöse Person, aber Religion fasziniert mich, vor allem im Kino. Filme hinterfragen Religion, genauso wie ich es tue. Das mag ich. Als ich klein war, habe ich mich dagegen verweigert, den Teufel als etwas Böses zu sehen. Denn der Teufel kommt nur, um dich zu bestrafen. Und ich habe mich immer gut benommen, also brauchte ich keine Angst vor ihm zu haben. Ich hatte immer das Gefühl, er stehe auf meiner Seite. Würde mir jemand etwas antuen wollen, würde er kommen und mich beschützen. Als ich den Film machte, wandte ich dieses Konzept auf die Geschichte an. Ich mag Liams Figur. Ich fühlte mich dadurch auch Pollyannas Charakter sehr nah. Die Bösen sind die anderen Personen innerhalb der Polizeiwache.

 

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DEADLINE: Du würdest also nicht sagen, dass Gott dich beschützt, wenn du in Schwierigkeiten steckst, sondern der Teufel?

 

Brian O’Malley: Ja, wahrscheinlich. Ich bete nicht den Teufel an oder so was, aber so ähnlich würde ich das sehen. Wenn du ein schlechter Mensch bist, dann solltest du dich vor dem Teufel in Acht nehmen. Es gibt keine Kreuze oder offensichtliche religiöse Motive in dem Film, dennoch ist er visuell stark religiös geprägt. Es ist ein gotischer Film. Die größten Horrorgeschichten kommen aus der Religion.

 

DEADLINE: Wie viele andere war ich besonders beeindruckt von der Eröffnungsszene des Films, wie Liams Charakter den Wellen zu entsteigen scheint und sich auf den Weg zur verwirkten Zivilisation macht. Was waren deine Gedanken bei der Umsetzung dieser Sequenz?

Brian O’Malley: Das stand so gar nicht im Skript. Dort steht nur, dass er im Land umherwandert. Ich hatte die Idee, während ich Schottland mit dem Boot entlang der Küste erkundete, und dachte, dass ich diese Landschaft für den Film verwenden müsse. Ich wollte, dass die Erde ihn gebiert, ihn ausspuckt und zu uns schickt, diesen unmenschlichen Charakter. Alle Elemente sind vertreten. Er kommt aus dem Wasser, wandelt über die Erde und endet mit dem Feuer. Diese Themen mochte ich sehr. Wir erklären nicht viel, aber ich denke, die Leute verstehen es trotzdem, es ist eine sehr starke Sequenz. Wir filmten sie am Ende der Dreharbeiten, da wir vorher keine Zeit hatten, herumzuexperimentieren. Auch erst später kam die Idee, die Kleinstadt früher zu zeigen. Es sollte klar sein, dass sie sein Ziel ist, und deswegen schnitten wir immer zwischen ihm und der Kleinstadt hin und her. Uns war auch wichtig, dass niemand in der Stadt ist. Manche haben das als einen Fehler missverstanden. Aber es ist einfach niemand mehr in der Stadt, da wir uns in einer Art Vorhölle befinden, die anderen sind schon nicht mehr da. Sie sind nicht mehr auf dieser Erde. Sie sieht zwar aus wie eine Polizeiwache, doch wir befinden uns vor den Toren zur Hölle. Nur Sünder sind geblieben. Aber mir gefällt das Implizite der Geschichte und dass man nicht alles klar und deutlich preisgibt. Die Eröffnungssequenz ist abstrakt, übernatürlich und spirituell.

 

DEADLINE: Hast du UNDER THE SKIN von Jonathan Glazer gesehen?

 

Brian O’Malley: Nein, ist er ähnlich?

 

DEADLINE: Er ist nicht unbedingt ähnlich in seiner Gesamtaussage, aber es gibt diese Szene an der schottischen Küste, die eine ähnlich mystische und spirituelle Atmosphäre erzeugt. Und auch in UNDER THE SKIN sind die Elemente Feuer, Wasser und Erde sehr wichtig.

 

Brian O’Malley: Ja, sicherlich ein wundervoller Film, ich mag die Arbeiten von Jonathan Glazer sehr, er ist ein großartiger Künstler.

 

DEADLINE: Neben anderen Filmen kommt einem beim Ansehen von LET US PREY unweigerlich Hitchcocks DIE VÖGEL in den Sinn.

 

Brian O’Malley: Als ich Anfang 20 war und entschieden hatte, dass ich ein Regisseur werden wollte, schaute ich mir alles an. Ich habe viel von Hitchcock gesehen, und DIE VÖGEL hatte definitiv einen besonderen Einfluss auf mich. Es wird niemals erklärt, warum sich die Vögel auf einmal dem Menschen gegenüber so verhalten. Als Regisseur liege ich oft im Clinch mit Produzenten, die alles klar erklärt haben wollen. Einige der größten Filme aller Zeiten sind jedoch sehr vage und lassen dem Zuschauer so viel Raum zur Eigeninterpretation. DIE VÖGEL ist dafür vielleicht eines der besten Beispiele. Ich möchte LET US PREY nicht mit Hitchcock vergleichen, aber es mag schon gemeinsame Elemente geben.

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DEADLINE: Im Zusammenhang mit LET US PREY wird regelmäßig John Carpenters DAS ENDE zitiert. Mehr noch als auf den visuellen Aspekt trifft dies jedoch auf die Musik von Carpenters Filmen zu. Diese ist ebenfalls der Musik von GOBLIN, die oft mit Dario Argento zusammengearbeitet haben, nicht unähnlich.

 

Brian O’Malley: Ja, absolut. Das ist eine lange Geschichte. Als ich 15 war, entdeckte ich die Band DEPECHE MODE und wurde fanatisch nach ihnen. Das erste DEPECHE MODE-Konzert, das ich sah, war 1986. Damit begann meine Faszination für elektronische Musik. Und durch elektronische Musik entdeckte ich John Carpenter. Seine Soundtracks sind alle elektronisch. HALLOWEEN, DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT, DAS ENDE und FLUCHT AUS NEW YORK haben eine großartige Atmosphäre. Ich liebe sie. Als ich anfing, LET US PREY zu machen, kamen bei mir instinktiv Erinnerungen an DAS ENDE auf. Es gibt einige Filme, die auf Polizeiwachen spielen, und man könnte sagen: Okay, sie weisen auch Ähnlichkeiten zu LET US PREY auf. Aber das alleine macht es nicht aus. DAS ENDE ist ein besonderer Film, und ich habe nichts dagegen, dass die Leute einige Zitate in Bezug auf ihn in LET US PREY entdecken. Ich möchte meine Liebe zu John Carpenters Filmen nicht verneinen. Auch wenn ich seine Musik noch mehr liebe. Ich wollte, dass der Soundtrack meines ersten Langfilms meinen persönlichen Musikgeschmack widerspiegelte. Aus all diesen Gründen haben wir uns für einen elektronischen Soundtrack entschieden.
GOBLIN haben einen fantastischen Soundtrack für SUSPIRIA gemacht. Die Musik spielt so eine große Rolle in diesem Film. Kurz vor Weihnachten 2014 habe ich GOBLIN live in Manchester mit SUSPIRIA gesehen. Das war Wahnsinn. Elektronische Soundtracks sind oft fremdartig, und wenn man das gut einsetzt, fühlt es sich sehr unangenehm für den Zuschauer an, und das liebe ich.
Ich liebe pulsierende, elektronische Sequenzen, sie sind sehr spannend. Ich wusste, es würde funktionieren, und es war alles beabsichtigt, das möchte ich gar nicht leugnen. Ich bin sehr glücklich damit. John Carpenter verdient es, als großartiger Filmemacher wertgeschätzt zu werden. Er hat eine ganze Generation von Regisseuren geprägt. Als LET US PREY letztes Jahr auf Tour bei verschiedenen Festivals ging, gab es immer auch andere Filme, die mit John Carpenters Werken verglichen wurden, und da wurde mir bewusst, wie groß eigentlich sein Einfluss auf meine Generation ist. Ja, ich liebe John Carpenter. Das Herausragende an seinen Filmen ist die Stimmung. Er ist nicht wie Steven Spielberg, dessen Szenen du analysieren und dadurch verstehen kannst, was er tut. Spielberg ist ein Meister, ein Experte des Kinos, aber seine Arbeiten sind nachvollziehbar. John Carpenter schafft eine bestimmte Atmosphäre, die sich durch den gesamten Film zieht und nur schwer zu verorten ist. Mit sehr geringen Budgets konnte er Welten fernab unserer Realität erschaffen. FLUCHT AUS NEW YORK ist noch nicht einmal in New York gedreht. Ich habe ihn Anfang der Neunziger das erste Mal gesehen und war also noch ziemlich jung, aber es war bereits ein Klassiker. Man konnte sofort feststellen, dass diese Welt nicht echt war, dass sie von Carpenter erschaffen wurde. Das Gefühl, in der Welt eines anderen zu sein, faszinierte mich. Bei LET US PREY habe ich versucht, etwas Ähnliches zu erreichen, einen Film zu schaffen, der in seiner eigenen Welt spielt. Was das genau für eine Welt ist, hat keine große Wichtigkeit, entscheidend ist, dass sich der Film andersartig anfühlt.
Es gibt auch einige Elemente, die oft unentdeckt bleiben, aber ihren Teil zur Geschichte beitragen. Wir haben mit alten anamorphen Linsen aus den Achtzigern gedreht, aus Russland. Ziemlich günstig, nicht sehr gut, sehr weich in der Darstellung. Aber sie geben den Bildern diese besondere Textur. Wir montierten sie auf eine digitale High-End-Kamera und nahmen ihr dadurch ihre Perfektion. Daher gefällt mir der Look des Films so sehr. Piers McGrail, erst 27 Jahre alt, hat mit seiner Kameraarbeit und Beleuchtung wunderbare Bilder geschaffen. Er hat großes Talent. Wir haben auch versucht, den Film in keiner klaren Zeitepoche spielen zu lassen. Manchmal sieht man den Filmen zu sehr die Zeit, in der sie entstanden sind, an. Bei den großen Filmen ist das oft nicht der Fall, und ich habe mich immer gefragt, woran das liegt. Horrorfilme sind immer sehr charakteristisch für die im Film verwendete Technik, da sie meist sehr günstig produziert werden und man versucht, mit wenigen Mitteln das Beste zu erreichen. Man sagt: Was ist neu? Ach, das ist neu? Dann lass es uns verwenden. Ich wollte nicht, dass man LET US PREY seine Zeit ansieht. Einen Teil dazu haben die Linsen beigetragen, einen anderen das Setdesign. Es gibt alte Bildschirme, Schreibmaschinen, Schränke, Kopien, viele Kabel, keine Smartphones. Die Kleidung des Arztes zum Beispiel ist aus den Fünfzigern. Sein ganzer Stil ist eine Hommage an Donald Pleasance aus HALLOWEEN. Der Schauspieler fragte mich, wie er den Arzt spielen solle, und ich sagte ihm, er solle sich vorstellen, dass Donald Pleasance noch lebe und ihn spielen würde. Denn wäre er tatsächlich noch am Leben, hätte er die Rolle bekommen … Bei der Polizeiuniform haben wir darauf geachtet, dass es die ganz neue britische Uniform ist, die gerade eingeführt wird. Sie ist noch nicht sehr verbreitet, aber ich wollte nicht, dass mein Film schon nach kurzer Zeit wie ein billiger britischer Fernsehfilm aussieht. Das Auto, welches der Teenager fährt, ist ein roter VW Scirocco von 1988, und der verrückte Polizist fährt einen alten Mercedes. Diese Elemente sind vielleicht heute noch nicht wichtig, aber für Filmfans, die sich ihre Filme über die Jahre immer wieder anschauen, wird es eine Rolle spielen. LET US PREY ist kein Terrence-Malick-Film, aber ein echter Genrefilm, der wertig aussehen soll.

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DEADLINE: Denkst du, es war wichtig, die Gewalt in dem Maße zu zeigen, wie ihr es getan habt?

 

Brian O’Malley: Das ist eine gute Frage. Nun, zunächst war sie im Drehbuch, und dem muss ich auch gerecht werden, das ist Teil meines Jobs. Ich mag Goreporn und solche Dinge nicht, das ist nur Gewalt um ihrer selbst willen, daran habe ich keine Freude. Ich mag den Einsatz von Gewalt, wenn er realistisch, also hart und schnell ist. Ich denke, ich habe die Ansprüche der Fans berücksichtigt, die auf den Film gewartet haben.
Für mich persönlich spielt Gewalt keine große Rolle, mein nächster Film wird keine derartigen Szenen haben. Ich wollte mich bei LET US PREY aber auch nicht zu sehr zurückhalten. Mir war bereits klar, dass es sich dabei nicht um eine 50-Millionen-Dollar-Produktion handeln würde, aber wenn ich bei der Gewalt zu oft wegblenden würde, würden die Leute denken, dass wir nicht die Mittel hatten, sie grafisch zu zeigen. Und das war wiederum nicht der Fall. In den Szenen, in denen die Kamera nicht hinsieht, soll dem Publikum bewusst werden, dass sie gerade absichtlich sich nicht dafür interessiert. Und wenn wir dann Gewalt zeigen, dann richtig. Es ist ein ziemlich brutaler Film. (lacht)

 

DEADLINE: Du hast bereits angedeutet, an einem neuen Film zu arbeiten. Kannst du mir etwas darüber erzählen?

 

Brian O’Malley: Das ist eine Geistergeschichte, die im Londoner U-Bahn-Netz spielt. So etwas wie ein verfluchter Bahnhof. Ziemlich gruselig. Wir haben bereits erste Entwürfe geschrieben und werden ihn zusammen mit den Produzenten von LET US PREY machen. Ich möchte noch nicht zu viel darüber reden, aber er wird THE LOST’S STATION heißen. Ich schreibe den Film zusammen mit Phil Hicks, er ist kein Drehbuchautor, sondern schreibt Romane, Geistergeschichten. Ich erzählte ihm von meiner Idee, und er half mir beim Schreiben. Für mich als Regisseur ist es ganz normal, auch selber als Autor zu fungieren. Für LET US PREY habe ich ein paar Veränderungen vorgenommen, aber ich bin nicht DER Autor. Für mich ist es wichtig, mit THE LOST’S STATION die positiven Kritiken für LET US PREY mitzunehmen und einen weiteren Horrorfilm und kein Familiendrama zu machen. LET US PREY wurde geschätzt, und das möchte ich weiterverfolgen, auch wenn ich nicht mit einem ultrabrutalen Film zurückkommen werde, sondern mit einer sehr atmosphärischen Gruselgeschichte. Wahrscheinlich wird aus meinem Kurzfilm CROSSING SALWEEN auch eines Tages ein Langfilm, die irische Filmförderung hat bereits Interesse angemeldet.

 

DEADLINE: Ich wünsche dir viel Glück für deinen neuen Film, du verdienst es. Vielen Dank für das Interview, Brian!

 

Brian O’Malley: Sehr gerne, da waren wirklich ein paar sehr gute Fragen dabei.

 

Interview im Januar 2015 von Leonhard Elias Lemke geführt