Einmal im Jahr lädt die Beschaulickeit der romantischen Straße im mittelfränkischen Dinkelsbühl zu einem heftigen Techtelmechtel. Für die zahlreichen Touristen, die sich jährlich durch die mittelalterliche Altstadt schieben, gibt es dann eine neue Attraktion: Meist schwarzgewandte, gerne tätowierte Gestalten, die mit Sack und Pack, Trinkhörnern und noch mehr Bier über die ansässigen Supermärkte herfallen, von denen sie bereits mit Plakaten begrüßt werden. Mit guter Laune zieht die bisweilen bereits zur frühen Mittagszeit schwankende Karawane zu einem Busparkplatz, um beim Eintreffen eines Shuttles unter “Wall of Death, Wall of Death” Rufen um die besten Plätze zu kämpfen. Es ist Mittwochmittag beim Summer Breeze Open Air. Vom 17. bis 20. August versorgten zahlreiche Bands rund 40.000 Besucher mit allen Spielarten der schönsten Nackensportart der Welt. Die DEADLINE war erstmals als Medienpartner dabei.
Die erste Besucherkontrolle ist rasch passiert und der Weg über den Campingplatz verdeutlicht wieder einmal, dass ein Festival nicht nur Ausnahmezustand, sondern Moratorium zum fröhlichen Danebenbenehmen ist. Ein nur mit einer Socke bekleideter junger Metalhead spaziert gemütlich zu seinem Zelt und wir wünschen ihm an dieser Stelle, dass er die Befestigungsoption “Kabelbinder” zu späterer, dunklerer, betrunkenerer Stunde nicht bereut hat. Mit seinem Modegeschmack qualifiziert er sich im Übrigen ausgerechnet nicht für die “Nackte Penisliste”, die eine andere Zeltgruppe ausgehängt hat und bereits eine beachtliche Statistik vorweisen kann.

Auf dem eigentlichen Festivalgelände, für das eine weitere Sicherheitsschleuse mit Taschenkontrolle passiert werden muss, werden am Mittwoch nur zwei der insgesamt vier Bühnen bespielt, auch ein Großteil der Läden hat noch geschlossen. Bereits geöffnet hat der Summer Breeze Merch-Stand, an dem sich eine gigantische Schlange bildet. Limitierte Shirts und Hoodies ziehen ein größeres Publikum als manche Band. Die BLASMUSIK ILLENSCHWANG kann sich beim umjubelten Festivalauftakt auf der Camel Stage allerdings nicht über mangelnde Besucher beklagen. Später sorgen hier die französischen NOVELISTS für erfrischenden Progressive Metal(core), DOWNFALL OF GAIA bieten musikalische Vielfalt der Dunklen Sorte dar. Überhaupt empfiehlt sich die zugegeben winzige Camel Stage während des viertätigen Festivals für musikalische Entdeckungen. Hier spielen eher unbekannte Bands. Gruppen außerhalb des Nischen-Mainstreams und jene, die sich gerade zielstrebig auf den deutschen Markt vortasten.

Die T-Stage hat tagsüber meist Stile zu bieten, die auf -core enden, nachts wird der Menge mit Death und Black Metal der Schädel eingedroschen. Zu den Leckerbissen am Mittwoch gehären MANTAR, BURY TOMORROW, AGNOSTIC FRONT und VADER. Die zwei Hamburger von MANTAR entfesseln zu zweit einen doomigen Sound, für den anderen Bands mindestend doppelt so viele Musiker brauchen. Generell kann der Sound der T-Stage jedoch während des ganzen Festivals leider nie überzeugen. Bei BURY TOMORROW fällt das weniger ins Gewicht. Der Metalcore der Engländer beschwört rasch eine ausgelassene Circle Pit, die ersten Crowdsurfer springen in die Brandung. Sänger Daniel Winter-Bates, der mit jedem Album besser grunzt und faucht, ist zufrieden und lädt die Fans zum Meet&Greet nach der Show. Wie ein großes Meet&Greet fühlt sich der Auftritt der Hardcore Legenden von AGNOSTIC FRONT an, die seit über 30 Jahren nahezu unverwüstlich durch die Welt touren und die auch beim Summer Breeze viele Zuschauer hinter der Bühne anziehen. Ja, natürlich sind die New Yorker älter geworden. Doch wenn beim nicht totzuspielenden Hit “Gotta Go” das ganze Zelt mitgröhlt, dann steht die Zeit still.
Auch am Donnerstag herrscht zunächst ein für 2016 völlig ungewöhnliche Festivalwetter: Sonne satt. Das nun komplett geöffnete Gelände lädt mit zahlreichen Buden zu Speis, Trank, Merch und sonstiger Geldverschwendung ein. Wer will, kann sich bei einem Brandmeister das Summer Breeze Logo in den Geldbeutel brennen lassen, im Biergarten lässt sich abschalten und kostenloses WLAN einschalten. Tagesheadliner SABATON gewinnt schon mittags den inoffiziellen Preis für die höchste Bandshirtdichte. Die so gerne Krieg spielenden Schweden haben ihren eigenen Merch-Stand zum Festival mitgebracht und präsentieren ihr neues Abmum “The Last Stand”.

Zum Mittag gehört die Main Stage aber den sympathischhen Progessive Metallern MONUMENTS, die sich bei strahlendem Sonnenschein sicher viele neue Fans erspielen. Dagegen wirkt EMMURE Sänger Frankie Palmeri mit latent gelangweilten Ansagen ein wenig abwesend, was der feiernden Menge aber ziemlich egal ist. Denn auch mit komplett ausgetauschten Musikern knallen EMMURE ihren typischen Hybrid aus Metalcore, Deathcore und manchereiner sagt sogar Nu Metal gnadenlos in die Pit.

Bessere Laune haben AT THE GATES, die mit einem routinierten Set beweisen, warum sie zu den (Melodic) Death Metal Pionieren gehören. Derweil haben OMNIUM GATHERUM, DEEZ NUTS und EQUILIBRIUM die benachbarte Pain Stage gerockt, die abends mit ASKING ALEXANDRA und FEAR FACTORY erst ein primär junges, und dann ein eher älteres Publikum begeistert. Beim Auftritt der Industrial Metal Veteranen verabschiedet sich das gute Wetter zugunsten von strömendem Regen. Die Fans harren aus und werden mit einem fantastischen Auftritt belohnt, der durch ein ausgewogenes Set und einem treffsicher singenden Burton C. Bell besticht. Allerdings versagt ihm die Stimme wiederholt beim Sprechen.


Zu den Entdeckungen auf der Camel Stage gehören am Donnerstag die Fun-Thrasher INSANITY ALERT aus Österreich (“Run to the Pit, Mosh for your Life”) und die 80ies-Spandex-Fetischisten STALLION mit der Extraportion Schnurrbart. Auf der T-Stage hinterlassen CATTLE DECAPITATION, STICK TO YOUR GUNS, ABBATH und THE BLACK DAHLIA MURDER Eindruck. Die Kanadier CATTLE DECAPITATION sichern sich dabei schon mittags den Holy Shit Award des Tages. Was ein Grind-Gebolze! Für die Partystimmung des Festivaldonnerstags geht es weniger überraschend zurück zur Main Stage, wo AIRBOURNE ihre Headliner-Position meistern.

Der sonnige Freitag steht im bluttriefenden Stern einer Band, die neben den zum Himmel gereckten Teufelshörnern als Synonym für Heavy Metal steht: Slayer. Oder in der Fachsprache eines Festivals: Slaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaayer. Klingt sowohl geschrien als auch besoffen gelallt zudem viel besser als dämliche Helga-Gesuche.

WEITER