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DER BLITZABLEITER GOTTES! – Im Interview mit Brendan Gleeson

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Brendan Gleeson kennt man vor allem durch seine Auftritte in diversen „großen“ Filmen wie BRAVEHEART, TROJA oder zuletzt EDGE OF TOMORROW. Dabei sind es die kleinen Filme des Iren, der eigentlich Lehrer war und erst mit 34 seinen ersten Film als Schauspieler drehte, die ihren besonderen Charme haben, wie THE BUTCHER BOY, THE GENERAL, BRÜGGE SEHEN … UND STERBEN? oder THE GUARD – EIN IRE SIEHT SCHWARZ. Mit dem Regisseur des Letzteren hat Gleeson AM SONNTAG BIST DU TOT gedreht und im Gespräch darüber gleich angedeutet, dass beide Filme Teil einer geplanten Trilogie sind. Ein Review von AM SONNTAG BIST DU TOT könnt ihr in DEADLINE #47 lesen.

 

AM SONNTAG BIST DU TOT läuft ab dem 23. Oktober in den Kinos!

 

 

DEADLINE: Der Regisseur von AM SONNTAG BIST DU TOT, John Michael McDonagh, hat mir erzählt, dass die Idee zu seinem Film bei einem Pub-Besuch mit dir entstanden ist …

 

BRENDAN GLEESON: Wir hatten gerade THE GUARD fertig, ein harter, aber auch ein sehr guter Dreh. Danach genehmigten wir uns ein paar Drinks und kamen auf das Thema, wie schwer es sein muss für einen guten Menschen, in diesen Tagen in der Kirche zu arbeiten. Wenn man häufig falsch verdächtigt wird, gerade wenn es um Pädophilie geht, was wohl die schlimmste Sache ist, derer man verdächtigt werden kann. Ganz abgesehen davon, dass sich die Kirche auch nicht mit Ruhm bekleckert hat, indem versucht wurde, die Sache zu vertuschen. John fragte mich: „Wenn ich das schreibe, würdest du es spielen?“, und ich sagte: „Absolut“, und so hat es angefangen, am letzten Tag von THE GUARD.

 

DEADLINE: Hast du in deinem Leben einmal einen Priester getroffen, der dich nachhaltig beeindruckt hat?

 

BRENDAN GLEESON: Meine Figur in AM SONNTAG BIST DU TOT basiert nicht auf einer speziellen Person. Als ich in der Grundschule war, hatte ich einen sehr jungen Priester als Lehrer. Mit ihm haben wir Theater gespielt und auch kleine Sets gebaut für Filmchen, die wir dann gedreht haben. Er war sehr wichtig für mich, er war jemand, der mir Inspiration gab. Es gab auch eine Nonne, die in Afrika gearbeitet hatte, und als sie heimkam, war sie der freiste Mensch, den ich bis zu diesem Moment kannte. Sehr modern in ihrem Denken, ein sehr großzügiges Gemüt und sehr intelligent in ihrer Art, an Dinge heranzugehen. Ich würde den Einfluss auf die Rolle aber nicht auf eine Person reduzieren wollen. Als ich die Robe zum ersten Mal anprobierte, habe ich gemerkt, dass meine Referenz für die Rolle das kindliche Vertrauen in alle Dinge ist, dass grundsätzlich alles erst mal gut ist.

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DEADLINE: Vater James kritisiert im Film auch einen anderen Priester, dem er vorwirft, nicht genug Anstand zu besitzen, während er selbst sich bemüht, seine „Schäfchen“ so zu akzeptieren, wie sie sind. Ist das nicht eine sehr deutliche Kritik des Films an der Verlogenheit der katholischen Kirche?

 

BRENDAN GLEESON: Nein, das würde ich so nicht sagen. Jemandem, der sich linientreu in einer Vereinigung wie der Kirche bewegt, fehlt vermutlich das Engagement für seine Taten. Aber ich würde das nicht als Kirchenkritik verstehen, für mich kritisiert Vater James eher die Faulheit seines Kollegen und dessen Verweigerung, sich mit realen Dingen auseinanderzusetzen. Vater James ist aber auch ein penetranter Typ, der an Plätze geht, wo er nicht hindürfte. Er taucht uneingeladen auf, weil er denkt, dass es seine Pflicht ist. Und er hat seine Fehler. Seinen Priesterkollegen hält er nicht für einen Priester, sondern für eine Imitation eines solchen, die nicht mal weiß, warum sie Priester ist.

 

DEADLINE: Vielleicht hat er sich noch nicht entschieden, aber für alle Fälle hat er sie mal …

 

BRENDAN GLEESON: Genau! Für fast jede Interaktion in dem Film gibt es zwei Gesichtspunkte, zwei Wahrheiten. Und die Antwort ist, dass es immer viele Wahrheiten gibt und nicht bloß die eine. Seine „Schäfchen“, die er im Film trifft, sind desillusioniert und haben kein Vertrauen. Sie versuchen, ihn zu brechen, sie sagen ihm, dass sein Glaube falsch ist und auf Korruption basiert und nicht mehr realistisch ist. Aber meine Meinung zu diesen Leuten ist, dass jeder Zyniker eigentlich hören möchte, dass sein Zynismus unberechtigt ist und dass es Hoffnung gibt, dass das Gute möglich ist. Das ist das Kreuz, das Vater James zu tragen hat. Offensichtlich trägt er die Schuld der Kirche, denn er ist ein Blitzableiter für den Zynismus der Menschen. Er absorbiert ihn und gibt unaufhörlich Liebe zurück.

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DEADLINE: Wenn wir seine „Schäfchen“ kennenlernen, dann begegnen wir verschiedenen Sündigen, die nach und nach die sieben Todsünden darstellen, oder hab ich das falsch gesehen?

 

BRENDAN GLEESON: Ja, sieben Tage, sieben Stadien der Trauer, sieben Todsünden … es ist eine sehr spezielle Zahl. In vielen Kulturen, nicht nur den religiösen. Bei uns daheim gibt es den siebten Sohn des siebten Sohnes, dem Heilkräfte nachgesagt werden. Ich denke nicht, dass du damit falsch liegst, aber ich weiß nicht, ob das so spezifisch gemeint ist. Am Beginn des Films spricht Vater James auch von den zwölf Stadien der Kreuzigung. Ich glaube, das war die eigentliche Idee von John (dem Regisseur, Anm.), aber Zwölf ist eine zu große Zahl (lacht), das wäre von der Struktur her nicht stimmig geworden.

 

DEADLINE: Euer Film hat mich aber auch an einen Agatha-Christie-Thriller erinnert, mit dem Unterschied, dass der Held kein Ermittler, sondern ein Priester ist. Er untersucht ein Verbrechen, das sich anbahnt …

 

BRENDAN GLEESON: Mit dem Unterschied, dass er weiß, wer der Täter ist …

DEADLINE: Warum stellt er ihn dann nicht einfach? Oder geht zur Polizei?

 

BRENDAN GLEESON: (lacht) Nun, das Geständnis passiert bei der Beichte, aber da der Täter nicht um Vergebung bittet, wäre es kein Bruch des Beichtgeheimnisses. Aber die Zuschauer sollen natürlich nicht wissen, wer es ist. Und da ist die Tatsache, dass jemand aus der Kirche diesen Menschen missbraucht hat. Vater James hat keine Lösung für ihn, und als ein Mann der Kirche ist er bereit, dieses Kreuz zu tragen. Einfach zur Polizei zu gehen wäre unwürdig für das, was er für seine Aufgabe hält. Er möchte auf eine Art für den Schmerz, den dieser Mann erleiden musste, die Schuld auf sich nehmen. Und er hofft, dass er dafür sein Versprechen nicht umsetzt, ihn zu töten. Und er geht zur Polizei …

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DEADLINE: Aber nur, um einem anderen seiner Schäfchen eine Knarre zu besorgen!

 

BREANDAN GLEESON: (lacht laut) Nun, ist das wirklich dafür oder um sich zu schützen?

DEADLINE: Vielleicht hat er sich noch nicht entschieden, aber für alle Fälle hat er sie mal …

 

BRENDAN GLEESON: Genau! Für fast jede Interaktion in dem Film gibt es zwei Gesichtspunkte, zwei Wahrheiten. Und die Antwort ist, dass es immer viele Wahrheiten gibt und nicht bloß die eine. Seine „Schäfchen“, die er im Film trifft, sind desillusioniert und haben kein Vertrauen. Sie versuchen, ihn zu brechen, sie sagen ihm, dass sein Glaube falsch ist und auf Korruption basiert und nicht mehr realistisch ist. Aber meine Meinung zu diesen Leuten ist, dass jeder Zyniker eigentlich hören möchte, dass sein Zynismus unberechtigt ist und dass es Hoffnung gibt, dass das Gute möglich ist. Das ist das Kreuz, das Vater James zu tragen hat. Offensichtlich trägt er die Schuld der Kirche, denn er ist ein Blitzableiter für den Zynismus der Menschen. Er absorbiert ihn und gibt unaufhörlich Liebe zurück.

 

DEADLINE: Eine Schlüsselszene ist die Begegnung mit dem kleinen Mädchen, die sofort alle Vorurteile gegenüber Priestern an die Oberfläche bringt.

 

BRENDAN GLEESON: Das war ein Ausgangspunkt für die Entstehung des Films. Die Vorstellung, dass die Menschen dich ansehen, als ob du möglicherweise ein Päderast bist, wenn du eigentlich nur versucht hast, gut zu Menschen zu sein. Ich meine, er ist ein fehlerhafter Mann, er hat Alkoholprobleme, er ist auch aggressiv gegenüber seiner Gemeinde. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist, dass er nicht mal mehr mit einem Kind auf der Straße reden darf. Aber er bleibt dennoch aufrecht, und deshalb ist er auch ein Held, weil er weiter auf die Möglichkeit der Vergebung hofft.

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DEADLINE: Vater James beschließt ja von Anfang an, seinem potenziellen Mörder in die Augen zu sehen. Er sagt aber auch, dass er ihn nicht umstimmen kann, das muss der Mann selbst machen. Warum?

 

BRENDAN GLEESON: Er sagt, dass es nie zu spät ist, sich zu bessern. Es ist die uralte Frage, ob man aktiv werden soll oder nicht. John (Michael McDonagh, Anm.) hat gesagt, dass der dritte Film von einem Querschnittsgelähmten handeln wird, einem Ex-Cop, der angeschossen wird und im Rollstuhl landet. Und der sich ausfällig gegenüber allen verhält und verbittert ist. Er nennt das auch die Selbstmord-Trilogie.

 

DEADLINE: Ich hab mich immer gefragt, ob Gerry Boyle (Brendans Figur in THE GUARD, Anm.) sich über uns lustig macht, oder ob er wirklich so schlau ist …

 

BRENDAN GLEESON: Das ist ja gerade das Gute daran. Es gibt eine Art von Humor in Irland. Mein Vater kam aus einem Ort, wo die diesen Humor geliebt haben. Sie haben dir Lügen aufgetischt, nur um zu sehen, ob du sie glaubst oder nicht. (lacht) Ich finde so was urkomisch. Einmal hat meine Mutter meine Tante besucht, und diese hatte nicht viel Geschirr daheim, weil der Erzbischof Gäste hatte und sich all ihr Geschirr geliehen hatte. Und meine Mutter glaubte ihr das natürlich. Meine Tante fand das großartig und hat jahrelang an dieser Geschichte festgehalten. Gerry Boyle mochte es sehr, den Leuten Geschichten zu erzählen, nur um zu sehen, wie sie darauf reagieren. Ich und John haben darüber diskutiert, ob die anderen Figuren im Film diese Geschichten glauben oder nicht. Ich glaube auch nicht, dass er Rassist war, ich glaube nur, dass er sich mit Don Cheadles Figur einen Spaß erlaubt, um zu sehen, was dann passiert.

 

DEADLINE: Schräg war auch, dass alle in dem Kaff ein Riesenproblem mit Dublinern hatten, obwohl das ja auch Iren sind. Warum ist das so?

 

BRENDAN GLEESON: Jeder Italiener denkt, dass seine Pasta die beste ist. (lacht)

 

DEADLINE: Dein Sohn Domhnall spielt auch eine kleine Rolle in AM SONNTAG BIST DU TOT, er spielt einen verurteilten Mörder. Wie war es für dich, diese schwierige Szene mit ihm zu drehen?

 

BRENDAN GLEESON: Ich vergleiche es gerne mit zwei Freunden, die Boxer sind. Sobald sie sich im Ring gegenüberstehen, erwarten sie, dass der eine versucht, den anderen zu besiegen. Und so hatte es sich ein wenig angefühlt. Aber wir haben die Szene gedreht, ohne vorher irgendwas zu entscheiden, wir blieben unseren „Ecken“ treu, wenn man so will. Wir sind also als unsere Figuren in die Szene gegangen, und nachdem die emotional schweren Momente der Szene durch waren, konnten wir uns entspannen und wieder Vater und Sohn sein. Man setzt die falschen Gefühle zur richtigen Zeit aus, so hat es sich jedenfalls angefühlt. Ich bin nun erleichtert und sehr stolz auf die Szene mit ihm, ich finde, dass er großartig darin ist.

 

DEADLINE: Und zumindest bist du niemand, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, wenn sein Kind ihm gesteht, Schauspieler werden zu wollen, oder?

 

BRENDAN GLEESON: Domhnall wollte eigentlich gar kein Schauspieler werden, er wollte auf die andere Seite der Kamera, also hat er Film studiert. Als er eine Audition für eine Rolle in einem Theaterstück gewann, war es um ihn geschehen, ich hatte gar nichts damit zu tun. Er wusste, dass es nicht einfach sein würde, dass man es nicht über Nacht schafft, sondern dafür arbeiten muss. Und es war wichtig, dass er verstand, dass es nicht immer fair zugeht. Man wird nicht zwangsläufig erfolgreich, wenn man gut ist. Es ist ein steiniger Weg, aber wenn es das ist, was man will, gibt es nichts Besseres, aber wenn nicht, gibt es nichts Schlimmeres.

 

DEADLINE: Domhnall war ja auch in DREDD, der leider nicht erfolgreich genug war, sodass es jetzt keine Fortsetzung geben wird.

 

BRENDAN GLEESON: DREDD war ziemlich gut, und er hat einen harten Kern an Fans. Er wurde vielleicht nicht von allen angenommen, aber es gibt viele Menschen, die ihn sehr gut fanden. Mehr kann man nicht machen, zumindest gibt es den Film, sollen die Geld-Leute sich um den Rest kümmern. (lacht)

 

Interview geführt von Patrick Winkler

 

 

AM SONNTAG BIST DU TOT
(OT: CALVARY)
Regie: John Michael McDonagh / IRL/GB 2014 / 100 Min.
Darsteller: Brendan Gleeson, Chris O’Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen
Produktion: Chris Clark, Flora Fernandez-Marengo, James Flynn
Freigabe: tba
Verleih: Ascot Elite
Start: 23.10.2014

 

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