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ZUM STERBEN SCHÖN – JÖRG BUTTGEREITS NOSFERATU LEBT!

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!“, heißt es im Finale von NOSFERATU LEBT! am Dortmunder Theater. Regisseur und TODESKING Jörg Buttgereit setzt mit seiner vierten Theater-Inszenierung nicht nur Friederich Wilhelm Murnaus Filmklassiker von 1922 ein Denkmal, sondern schlägt eine unfassbare Brücke zwischen Film- und Zeitgeschichte, um seinen Zuschauern eines klar zu machen: die filmische Wiege des Horrorgenres liegt in Deutschland! Diese Rückbesinnung auf die Wurzeln einer damals jungen Genrebewegung, die bereits wenig später im Keim erstickt und zur Auswanderung gezwungen wurde, birgt bei Buttgereits Stück Hoffnung und Schrecken zugleich.

 

Foto: Birgit Hupfeld
Foto: Birgit Hupfeld

Hoffnung darauf, dass nach so langer Zeit erkannt wird, dass Horrorgestalten wieder einen festen Platz in der deutschen Kulturlandschaft haben können. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!“ – ein Zitat aus Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ zum Holocaust – bezieht sich schließlich nicht bloß platt auf den geschichtlichen Kontext von Murnaus Film aus einem Deutschland zwischen zwei Weltkriegen – Siegfried Kracauer bezeichnete NOSFERATU später schließlich als die mediale Vorwegname Hitlers – sondern vielmehr auf den immensen Einfluss des Films auf alle zukünftigen Horrorfilmgeneration. Wie viel HELLRAISERs Pinhead, Freddy Krueger aus NIGHTMARE und schlichtweg alle spitzzahnigen Nachfahren NOSFERATUs den visuellen Motiven des Grafen Orlok verdanken, wird einem erst durch Buttgereits Inszenierung wirklich bewusst. Ähnlich wie in SHADOW OF THE VAMPIRE darf sich das Publikum durch die Nähe zu den Protagonisten in der Studio-Bühne fast wie am Set von Murnaus Film fühlen. Der bereits für Buttgereits DER ELEFANTENMENSCH (ebenfalls noch am Dortmunder Schauspiel zu sehen) mit dem Kritikerpreis ausgezeichnete Uwe Rohbeck schafft dabei das Unmögliche: er reißt die Figur des NOSFERATU so perfekt an sich, dass er alle bisher existierenden Vorgänger hinter sich lässt. Rohbeck imitiert weder Schreck, Kinski noch Dafoe sondern wird selbst zum lebendigen Untoten – dem Grafen. Greifbarer kann der kalte Schauer echten Grusels kaum werden. Fast fühlt sich Orloks Auftauchen wie eine echte Freakshow an – ein leibhaftiger Untoter steht zur Unterhaltung des Publikums auf der Bühne.

 

Diese besteht hauptsächlich aus einer weißen Leinwand, hinter der die Schauspieler immer wieder mal verschwinden, um die Ereignisse in einem faszinierenden Schattenspiel darzustellen. Untermalt von einer Dauerkaskade Live-Musik vom Klavier, die zwischen düsterer Stimmungsmusik mit Anflügen von John Carpenters THE FOG und fast umerklich eingeflochtenen Zitaten von Bauhaus („Bela Lugosi’s dead!“) über Black Sabbath bis zu den Rolling Stones serviert, ist der Sprechanteil der Schauspieler auf ein Minimum reduziert. So werden stilecht auch beim Bühnen-NOSFERATU Texttafeln wie im Stummfilm eingeblendet, während sich der brave Makler Hutter (Ekkehard Freye) auf die Reise nach Transsylvanien begibt. Brillant arbeitet Buttgereit mit der Bühnenausleuchtung, um dessen schrecklichen Erlebnisse in einem Schattenspiel zu spiegeln, die Hutters Frau Ellen (Annika Meier war auch schon in GREEN FRANKENSTEIN / SEXMOSTER dabei) allnächtlich in der Heimat quälen. Ganz der Vorlage entsprechend wird stumm mit großen Gesten gespielt, nur unterbrochen von informellen Einschüben eines Erzählers (Andreas Beck), der (film)historischen Kontext für die Zuschauer parat hält. Sogar William Castle findet bei NOSFERATU LEBT! seinen Weg nach Transsylvanien, um für einen süßen Schock im Parkett zu sorgen.

 

Mit NOSFERATU LEBT! setzt Jörg Buttgereit nicht bloß dem Klassiker sondern dem gesamten Horror-Genre ein Bühnendenkmal, verweist auf eine Tradition, die schon viel zu lange untot geschlummert hat. Aber NOSFERATU LEBT! ist kein böses Erwachen sondern eine wundervoll düstere Märchenstunde, die alle, die wie Buttgereit die Monster lieben, mit einem geschmachteten Seufzen verlassen werden.

Die bisher angesetzten Vorstellungen von NOSFERATU LEBT! sind bereits bis April ausverkauft. Weitere Termine sind aber in Planung. Karten und weitere Infos gibt es unter www.theaterdo.de . (Kay Pinno)

 

Foto: Edi Szekely
Foto: Edi Szekely

Interview mit Jörg Buttgereit

 

DEADLINE: Erzähl mal wie du überhaupt zum Theater kamst?

 

JÖRG BUTTGEREIT: GREEN FRANKENSTEIN war ja nicht mein erstes Theaterstück. Ich habe in Berlin ja schon einige Theatersachen gemacht. Im Hau (Hebbel am Ufer Theater) CAPTAIN BERLIN VS. HITLER und die so genannten ROUGH CUTS – Buttgereits Filmlektionen so eine ganze Serie von so einmaligen Filmlektionen am Theater. 2005 war meine erste Bühnenarbeit, wenn man so will, mit GABBA GABBA HEY, dem Ramones Musical in Berlin. Das war wirklich eine Überraschung. Aber das lief auch nur über einen Bekannten von mir, der die Rechte an dem Stück gekauft hatte, mich von früher kannte, weil ich früher auch für Konzerte und Konzertveranstalter gearbeitet habe. Und Michael Schaumer aus Berlin ist einer dieser Veranstalter gewesen. Der hatte mich damals schon mal engagiert, um bei den Ramones im Bühnengraben zu arbeiten, damals in den 80ern. Der wusste also, dass ich Ramones Fan bin und kannte auch meine Filme, und als er dann das Ramones Musical auf die Beine stellen wollte, hat er mich gefragt, ob ich das denn nicht machen will. Und dann war das gleich ein Musical.

 

DEADLINE: Hattest du denn vorher irgendeine Art von Beziehung zum Theater oder war das für dich einfach nur ein Kulturtempel?

 

JB: Eigentlich bin ich ja mit Film aufgewachsen, aber wenn man sich’s genau betrachtet, sind ja meine Lieblingsfilme, nämlich die japanischen Monsterfilme, auch nichts anderes wie abgefilmtes Theater, denn diese Monster ja immer von Leuten in Kostümen dargestellt werden auf Bühnen, vor denen auch nur Leute mit Kameras sind. Man sieht die Drähte, man sieht das da Menschen drin sind, also diese Handarbeit, die ja so charakteristisch für das Theater ist, die hat es mir angetan. Ich glaube, das ist die Schnittmenge. Theater stellt auch eine Art Fluchtort für mich da, weil das Kino immer digitaler wird und ich damit eigentlich nichts zu tun haben will.

 

DEADLINE: Bist du da im Tarantino-Sinne Old School und sagst „Film muss Zelluloid sein“ oder denkst du, dass das digitale Filmemachen für’s Kino nicht reicht oder alles was da dranhängt zu anstrengend und kompliziert ist?

 

JB: Nein, nicht anstrengend und kompliziert. Ich habe ja jetzt auch mit GERMAN ANGST wieder mal einen Film gedreht oder besser gesagt einen Drittel-Film. Und der ist ja auch digital gedreht. Aber ich habe drauf geachtet, dass keine digitalen Spezialeffekte drin sind. Für mich ist wichtig, dass die Dinge, die man sieht, sichtbar handgemacht sein müssen. Ich wertschätze digitale Effekte einfach nicht, weil mir das immer so erscheint als müsste man im nachhinein was kaschieren, was an Ort und Stelle nicht geklappt hat. Mit meinen Filmen früher bin ja abhängig davon gewesen, dass alles live klappt, weil wir alles live gemacht haben und die Nachbearbeitung überhaupt nicht gegeben war. Das war alles Zelluloid und auch nicht digital geschnitten. Insofern bin ich da Old School mäßig. Ich bin dann einer der Leute, die empört sind, wenn in so einem späteren Romero-Film digitale Köpfe explodieren. Das vergesse ich sofort wieder, das nehme ich überhaupt nicht ernst. Das ist nicht mal böser Wille, aber ich wertschätze es nicht und damit verpufft es für mich. Das ist für mich so, als wenn da nur ein Schild stehen würde, auf dem steht „Hier platzt ein Kopf“. (lacht) Aber sehen tue ich das nicht. Das ist ja nur eine Animation.

 

DEADLINE: Du hast ja für dich auch irgendwann mal gesagt, dass das Filmemachen für dich abgeschlossen ist und hast dich anderen Sachen zugewandt und hier hast du jetzt einen sicheren künstlerischen Hafen gefunden, in dem du auch eine gewisse Narrenfreiheit genießt…

 

JB: Scheinbar ja. (grübelt selbst verwundert). Aber ich weiß gar nicht, wo das herkommt. Das ist einfach so ein Vertrauensvorschuss, den mir der Schauspieldirektor hier gibt. Der hat mich mit den Worten „Willst du hier nicht was machen? Und wenn, was denn?“ hergeholt. Das ist natürlich toll. Mittlerweile ist es so, dass er fragt „Was kannste denn nächstes Jahr machen?“ und er auch eigene Ideen hat. Und NOSFERATU war auch die Idee von Kay Voges und nicht von mir. Der rief einfach irgendwann an und fragte: „Kannst du dir vorstellen NOSFERATU zu machen?“ Und ich sagte: „Ja klar!“ (lacht). Manchmal gibt es so No-Brainer. Tatsächlich glaube ich war es so, dass einer der Dramaturgen hier mal nach Gelsenkirchen gekommen ist, wo der Mitschnitt von CAPTAIN BERLIN lief. Und da hat er gesehen „Mensch der macht ja wirklich Theater, dann kann er das auch woanders machen“. Die wussten schon, dass die mir nichts neues abverlangen, sondern das ich nur den Ort wechsle und die Bedingungen besser werden als in Berlin. In Berlin ist es ja nicht ganz so einfach mit den Fördergeldern. Bei CAPTAIN BERLIN oder den Filmlektionen war das Budget schon relativ eng.

 

DEADLINE: Ist das ein anderes Theaterpflaster als hier in Dortmund?

 

JB: In Berlin habe ich nichts ohne den Hauptstadtkulturfonds hingekriegt und der lief nur über das Hau also über den Spielort. Und hier ist es so, dass ich einfach angestellt bin, einen Werkvertrag bekomme. Mach mal das und ich sage ja und die sagen und dafür kriegst du das. Und hier muss ich mich nicht darum kümmern, dass die Schauspieler bezahlt werden, was ich da immer musste. Die sind hier fest, die sind schon da wenn ich komme und ich bekomme die sozusagen vorgeworfen, was auch seinen Reiz hat.

 

DEADLINE: Wo siehst du die Vorteile als Regisseur am Theater, wenn man es mit Film vergleicht?

 

JB: Das man mehr Zeit hat mit den Schauspielern zu arbeiten und sich nicht um die Technik-Scheiße kümmern muss. Beziehungsweise es gibt hier auch Technikscheiße wie ich so sage, aber hier kommt man eher damit durch, wenn man sich nur mit den Schauspielern auseinandersetzt, weil die ersten zwei Wochen Proben finden ohne diesen Technik-Aufwand statt. Wenn ich dann mit den Schauspielern auf die große Bühne mit der Technik komme, dann ist man mit denen durch und kann sich dann auf die anderen Sachen konzentrieren. Beim Film ist ja alles durcheinander – es wird alles für den Moment gemacht und dieses Zerhackstückte ist auch ein bisschen nervig beim Film.

 

DEADLINE: Wie ist denn der weitere Entstehungsprozess bei so einem Stück wie NOSFERATU, nachdem die Idee erstmal da ist?

 

JB: Die anderen Stücke habe ich ja selbst geschrieben, die ich bisher gemacht habe. Zu dem Stück habe ich jetzt den Film genommen – es gibt ja nicht mal ein deutsches Drehbuch oder eine Theaterversion dazu. Trotzdem NOSFERATU ja ein Ripoff von DRACULA ist, aber DRACULA ja auch als Theaterstück existiert – also auch aus den 20er oder 30er Jahren sogar. Darauf habe ich jetzt keinen Zugriff gehabt. Ich habe lediglich den Film geguckt und den adaptiert, aber schon mit dem Bewusstsein, dass ich das mit weniger Schauspielern machen muss als im Film waren und auf einer Bühne, die nichts kann, wie meine arme Ausstatterin immer sagt. Also keine Hebebühnen – nichts. Das Studio ist ja so eine Art Werkstatt. Ist schön dunkel und sehr intim, das liebe ich auch daran, aber wir können NOSFERATU nicht von der Decke schweben lassen. Nach drei Metern kommen da schon die Scheinwerfer, da ist nicht viel möglich. Aber das ist auch ein Reiz, weil es einen wieder auf das reduziert, was wichtig ist. Und das sind in der Regel die Schauspieler und was sie so rüberbringen.