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WORTWECHSLER MIT LIAM NEESON ZU SILENCE

 

KLANG DER STILLE

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Ein Interview mit Liam Neeson ist immer etwas Besonderes. Weil er fast alles spielen kann. Weil er viele kluge Sachen sagt. Weil er dies nie sich profilierend tut. Weil man mit ihm gut diskutieren kann. Weil er wissbegierig ist. Weil er eine ganz ruhige, einnehmende Art hat. Kurz: Er passt wie die Faust aufs Auge in Martin Scorseses Film, und das nicht zum ersten Mal. SILENCE ist am dem 2. März im Kino zu sehen.

 

DEADLINE: Martin Scorsese, mit dem du schon für GANGS OF NEW YORK zusammengearbeitet hast, saß an der Idee zu SILENCE seit den frühen 90ern. Man kann es also als ein Herzensprojekt von ihm bezeichnen. Was war es für dich?

 

LIAM NEESON: Erst nur ein neues Rollenangebot. Ich habe das Buch von Shusaku Endo vor knapp zwei Jahren gelesen, als ich mich mit Martin traf und er sagte, er mache nun endlich diesen Film. Doch ehrlich gesagt, fand ich das Buch sehr langweilig. Die Übersetzung, die ich hatte, war extrem schwer. Ich musste mich wirklich dazu zwingen, es fertigzulesen. Als ich aber das Skript von Jay Cocks und Martin las, wurde die Geschichte für mich plötzlich sehr lebendig und tauchte vor meinem inneren Auge auf.

 

DEADLINE: War dir die Geschichte der Shimabara-Rebellion oder der versteckten Christen in Japan schon vorher ein Begriff?

 

LIAM NEESON: Nicht wirklich. Ich wusste ein wenig über die Geschichte der Jesuiten, weil ich schon Mitte der 80er im Film MISSION einen Jesuitenpriester spielte. Die Geschichte handelte von einer Jesuitenreduktion im 18. Jahrhundert in Südamerika. Ich hatte mich damals dazu schlau gemacht. Über Japan wusste ich zuvor nur etwas über die jüngere Geschichte, doch nichts Spezifisches.

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DEADLINE: Ich dachte bei einigen Szenen von SILENCE genau an diesen Film. Besonders, als ich dich in den ersten Einstellungen sah. MISSION trägt zwar eine andere Story, doch die Stille und Schönheit der Landschaftsaufnahmen und die unaufgeregte Erzählweise ähneln sich in gewisser Weise.

 

LIAM NEESON: Das ist richtig und hast du gut erkannt. Die Natur nimmt in beiden Filmen eine sehr große Bedeutung ein.

 

DEADLINE: Die Figur, die du spielst, hat wirklich gelebt. Wie hast du dich auf diese Rolle vorbereitet?

 

LIAM NEESON: Ich habe mich hauptsächlich durch verschiedene Bücher gelesen und so versucht, meine Leerstellen in Bezug auf die japanische Kultur auszufüllen. Ich habe dadurch tatsächlich sehr viel gelernt über die Geschichte und die Situation der Jesuiten in Japan, die um 1550 mit der dortigen Missionierung begannen und über 200 Kirchen bauten. Damals soll es 150.000 gläubige japanische Christen gegeben haben. Rund vierzig Jahre später kam es dann zur Christenverfolgung. Ich fand das alles sehr interessant. Eines der Bücher, die ich gelesen habe, behandelte einen Aspekt der japanischen Historie, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Die Mongolen hatten im 13. Jahrhundert versucht, Japan einzunehmen. Mit chinesischer und koreanischer Unterstützung. Mit einem Heer, bestehend aus ungefähr 40.000 Truppen. Und mit aufgrund von Zeitmangel ziemlich schlecht gebauten Schiffen. Erst sah es für die Mongolen gut aus, doch die Unberechenbarkeit der Natur und der Hunger trieben sie schließlich zum Rückzug. Ein schwerer Sturm zerstörte einen Großteil ihrer Schiffe. Die Japaner interpretierten den Sturm als „Kamikaze“, was so viel bedeutet wie „göttlicher Wind“. Die Japaner dachten fortan, dass sie unbesiegbar seien. Das sagt viel aus über ihr späteres Verhalten, beispielsweise auch im 2. Weltkrieg. Sie glaubten an diesen Mythos der Unbezwingbarkeit und wollten diesen um jeden Preis schützen. Mich hat das fasziniert. Als die Europäer kamen, hatten sie solche Angst davor, kolonialisiert zu werden. Das ist ein Grund, warum sie die Verbannung der Christen und deren Verfolgung im 16. Jahrhundert so unbarmherzig vorantrieben.

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DEADLINE: Cristóvão Ferreiras Apostasie wurde zwar unter Folter erzwungen, doch auch später hat er sich offen gegen das Christentum ausgesprochen. Hat er nicht länger an die Mission der Christianisierung in Japan geglaubt?

 

LIAM NEESON: Das denke ich nicht. Eher, dass er im Herzen nie seinen wahren Glauben aufgegeben hat. Doch er tat es einerseits, um andere Priester und japanische Christen davor zu retten, umgebracht zu werden. Als guter Christ wollte er sich seine Menschlichkeit bewahren. Doch er wollte auch seinen Geist bewahren. Ferreira war ein ehrwürdiger Mann, sehr gut ausgebildet in Mathematik, Philosophie und Medizin. Er begriff, dass es ihm als Apostat immer noch erlaubt sein würde, seinen Intellekt auszubilden, indem er Bücher lesen und studieren konnte.

 

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DEADLINE: Dass man zwar nach außen seinen Glauben aufgeben kann, aber nicht das, was man im Innersten trägt, trifft auch auf die Figur des Kichijiro zu. Er verleugnet Gott dreimal. Sein Glaube wird immer geprüft. Am Ende aber prüft er Rodrigues.

 

LIAM NEESON: Das stimmt. Es ist ein offensichtlich biblischer Bezug. Auch er ist eine enorm spannende Figur.Für mich ist Kichijiro der Charakter im Film, der am offensten seine Zweifel lebt. Und wie du sagst, eigentlich hat er sehr viel gemeinsam mit Rodrigues, doch davon will dieser anfangs gar nichts wissen.

 

 

 

DEADLINE: Denkst du, man lebt noch wirklich, wenn man seine Überzeugungen aufgegeben hat? 

 

LIAM NEESON: Ich denke eher, man stirbt innerlich, wenn man damit aufhört, Fragen zu stellen. Ich habe gute Freunde, die absolut überzeugt sind von ihrem Glauben. Ich selbst kann nicht sagen, ob es einen Gott gibt oder nicht. Wir alle suchen nach Antworten. Man kann nie genug wissen und wird nie genug wissen. Als menschliche Wesen ist es existenziell für uns, vor allem in der heutigen Zeit, eine bestimmte Art von Spiritualität in unserem Leben zu suchen.

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DEADLINE: Ferreira sagt im Film, dass unsere westliche Religion nicht mit den japanischen Traditionen und dem buddhistischen Weg des Lebens vereinbar sei. Stimmst du dem zu?

 

LIAM NEESON: Ja. Die Japaner hatten immer schon ihren Shintoismus, ihren Buddhismus und diese unglaubliche Philosophie. Sie waren alle hoch ausgebildete, spirituelle Menschen. Sie konnten sich derart fokussieren und sich in der Meditation verlieren. Ihre Gedanken abstrahieren und unabhängig machen von Raum, Energie und selbst vom Tod. Selbst heute ist das noch bemerkenswert. Sie glaubten daran, dass es ein höheres, metaphysisches Level der Evolution gebe.

Ich glaube, Ferreira hat dies erkannt, doch die meisten europäischen Regierungen haben es nicht.

Sie sandten zuerst ihre Missionare und dann ihre Soldaten. Da schwang immer diese Angst mit. Die Missionen wurden benutzt als eine Art Beruhigung der Menschen, bevor man die Länder kolonialisieren, ausplündern und sich selbst bereichern wollte. Das trifft sicher nicht auf alle Missionen zu. Die Jesuiten waren fest davon überzeugt, dass sie eine gute Botschaft verbreiten, eine Botschaft der Gnade. Sie wollten zeigen, dass das Leiden auf der Welt nicht von Dauer ist. Dass es etwas gibt, was darüber hinausgeht.

 

DEADLINE: Ist es die Natur der Religion, dass sie oft als Ausrede herhalten muss?

 

LIAM NEESON: Das war leider schon immer so. Religion wurde und wird auch heute noch missbraucht, und in ihrem Namen werden schreckliche Taten begangen. All diese großen Kriege, die im Zeichen der Religion geführt wurden, prägten abscheuliche Handlungen. Häufig war es auch eine Machtdemonstration, den im Kampf unterlegenen Völkern den eigenen Glauben aufzuzwingen.

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DEADLINE: Als Zuschauer fühlt man jeden Leidensmoment mit, vor allem, weil die stillzustehen scheinende Zeit einen zusätzlich quälenden Charakter hat. Konnte man nur auf diese Art verdeutlichen, wie lange es dauert, einen Menschen zu brechen?

 

LIAM NEESON: Vielleicht. Jeder Mensch ist anders und hat seine eigene Schmerzgrenze. Die Folterszene, in der ich kopfüber in der Grube hänge, war eine tatsächliche Tortur. Viele Märtyrer verloren auf diese Weise ihr Leben. Die Japaner ließen sie mehrere Tage in diesem Zustand. Diese Gruben waren mit menschlichen Exkrementen gefüllt. Dann wurde ihr Kopf mit Brettern fixiert, sodass sie nach einer Weile kein Gefühl mehr für Ort und Zeit hatten. Ihr Leiden war konstant. Das müssen Höllenqualen gewesen sein.

 

DEADLINE: Diskriminierung, nicht nur religiöser Art, ist aktueller denn je, wenn man sich die jüngsten Nachrichten anschaut. Ist das etwas, was dir Angst macht?

 

LIAM NEESON: Sicherlich. Es berührt mich und betrifft mich auch, schon allein, wenn ich es aus einem humanitären Blickwinkel heraus betrachte. Ich glaube, wir haben sehr viel Macht in unseren Fingerspitzen, die uns leider nicht stetig bewusst ist. Der technologische Fortschritt hat die Diskriminierung nur noch beflügelt, obwohl sie schon immer präsent war und uns auch weiter begleiten wird.

 

DEADLINE: Lieber Liam, vielen Dank für ein weiteres interessantes Gespräch mit dir.

 

LIAM NEESON: Gerne doch. Ich freue mich auf das nächste.

 

Interview geführt von Sarah Stutte