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Regie: Alejandro Amenábar / Spanien, Kanada 2015 / 106 Min.
Darsteller: Ethan Hawke, Emma Watson, David Thewlis, Lothaire Bluteau, Dale Dickey, David Dencik, Aaron Ashmore
Produktion: Fernando Bovaira, Alejandro Amenábar, Christina Piovesan
Freigabe: FSK 16
Verleih: Tobis Film
Start: 01.10.2015

 

Keiner kann uns besser etwas vormachen als wir selbst. Nicht nur, dass wir uns an Dinge ganz anders erinnern können, als sie tatsächlich stattgefunden haben: Wir können uns sogar selbst davon überzeugen, Erlebnisse gehabt zu haben, die es in der Realität niemals gab. In den 1980er- und 90er-Jahren ließ sich dies als Massenphänomen vor allem in den USA beobachten, als in den Medien über zahlreiche Fälle von „Überlebenden“ satanischer Rituale berichtet wurde: Befeuert vom Erfolg des vorgeblichen Tatsachenberichts MICHELLE REMEMBERS (1980) fanden sich immer mehr Menschen, die behaupteten, als Kinder von okkulten Gruppen missbraucht und gefoltert worden zu sein. Die jahrzehntelang unterdrückte Erinnerung an diese Geschehnisse sei ihnen mithilfe der Hypnotischen Regression wieder präsent geworden: eine damals extrem populäre, heute allerdings vollständig diskreditierte psychotherapeutische Methode, die auf den Theorien von Freud basiert und darauf abzielt, mittels Hypnose und Suggestion Kindheitserlebnisse erinnerbar zu machen, die sich dem Bewusstsein des Probanden entziehen.

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Da die Regressionstherapie die Frage nach dem Wahrheitsgehalt solcher Erinnerungen explizit ausklammert, befördert sie ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Illusion; ja, kann durch suggestive Fragen des Therapeuten zur Konstruktion einer angeblichen Realität seitens des Probanden führen, in der die unglaublichsten Fiktionen zu Fakten werden – sprich: in der sich Menschen plötzlich „erinnern“, von Außerirdischen entführt oder bereits mehrfach wiedergeboren worden zu sein. Laut Wikipedia ist bis heute kein einziger Fall bekannt, bei dem durch Hypnotische Regression valide, bislang unbekannte Informationen übermittelt wurden – entsprechende Schilderungen wurden dennoch zur Grundlage einer großflächig um sich greifenden moralischen Panik, die von einer unwahrscheinlichen Koalition aus fundamentalistischen Christen, Feministinnen, Ärzten, Polizisten und Sozialarbeitern geschürt wurde und zum breiten Glauben an ein internationales Netzwerk von Satanisten führte, das rituelle Gewalt an Kindern ausübe und jährlich bis zu 60.000 (!) Menschen töte. Zu einer hysterisch aufgeladenen Stimmung also, in der hinter jeder Straßenecke Satanisten vermutet wurden, unschuldige Menschen vor Gericht gezerrt wurden und etwa Heavy-Metal-Bands und -Fans per se als verdächtig galten. Anders formuliert, zu einer Regression der Gesellschaft selbst, von einer aufgeklärten Zivilisation zum Hexenglauben des Mittelalters. Alles nur ein paar haarsträubender, niemals validierter, aber mit maximaler Lautstärke verbreiteter Behauptungen wegen, die Urängste ansprachen. Parallelen zum heutigen Erfolg rechtspopulistischer Hetzbewegungen sind nicht zufällig.

 

Ein hochinteressantes, explosives Themenfeld also, dem sich der chilenisch-spanische Regisseur Alejandro Amenábar (TESIS, OPEN YOUR EYES, THE OTHERS) hier widmet. Dessen Vielschichtigkeit er jedoch leider bei Weitem nicht ausschöpft. Stattdessen entpuppt sich REGRESSION als hochglanzpolierter, klischeebeladen inszenierter Horrorthriller, der an einer groben Figurenzeichnung krankt – und dessen reale Hintergründe sich als kontraproduktiv für die beabsichtigte Gruselwirkung erweisen.

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