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IM GESPRÄCH MIT REGISSEUR ROBERT SIGL ZU LAURIN

(c) David Scharfenberg und Michael Holzinger
(c) David Scharfenberg und Michael Holzinger

 

Er geht dorthin, wo kein Tod mehr ist … – Im Gespräch mit Robert Sigl, dem Regisseur von LAURIN

 

Robert Sigls erster Kinofilm sollte bis heute sein letzter für die große Leinwand bleiben. Für LAURIN wurde er zwar mit dem Bayerischen Jugendfilmpreis ausgezeichnet, doch war die Mehrheit des deutschen Film-Establishments zu borniert, um diesem besonderen Debütfilm die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Mit Mitte zwanzig hatte Sigl einen psychologisch komplexen Historienfilm in der Tradition des deutschen Horrorkinos inszeniert – unzumutbar für das Publikum, so die Meinung der kleinkarierten bundesdeutschen Zeitgenossen. Während LAURIN im Ausland zu einem kleinen Kultfilm wurde, musste Sigl seine persönlichen Visionen mit ihm anvertrauten TV-Projekten verflechten. Die Fernseh-Mehrteiler STELLA STELLARIS und LEXX ließen zwar Genreenthusiasten aufhorchen, doch wollte man ihm hierzulande einfach kein größeres Kinoprojekt anvertrauen. Dennoch, bei allen Zugeständnissen an das Medium tragen seine Tatorte und vor allem die TV-Filme SCHREI – DENN ICH WERDE DICH TÖTEN, DAS MÄDCHENINTERNAT und HEPZIBAH die deutliche Handschrift eines Autors und Horrorkenners, der darauf brennt, endlich eines seiner Herzensprojekte verwirklichen zu können.

LAURIN gilt heute als Kleinod des deutschen Genrefilms – aus den letzten Jahrzehnten haben wir davon nicht viele – und unter Kennern als Meisterwerk. Bildstörung sieht das genauso und beschert uns eine prächtige Veröffentlichung des Films. Über diesen und die Unzulänglichkeiten des deutschen Filmbusiness haben wir mit dem überaus sympathischen und herzlichen Robert Sigl für euch gesprochen.

 

DEADLINE: Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob man als Filmschaffender eine Filmhochschule besucht haben sollte oder nicht. Du warst auf der angesehenen Münchner Filmhochschule. Wie kam es aber überhaupt zu deiner Filmbegeisterung?

 

Robert Sigl: Ein einschneidendes Erlebnis war, als ich als kleiner Junge vor einem Kino die Aushangfotos und das Filmplakat zu TANZ DER VAMPIRE bestaunt habe. Die barocken Kostüme, das rote Kleid von Sharon Tate, der Schnee … Diese Begegnung hat mich derartig in den Bann gezogen, dass ich wusste, dass ich auch so etwas erschaffen will. Ich begann, selbst Kinoplakate für meine Filme zu zeichnen. Dafür nannte ich mich Robert Carter. Wenn ich dann alleine zu Hause war, spielte ich diese Filme für mich selber. Dabei übernahm ich alle Rollen. So riss ich etwa die Fenster auf – ich war damals schon sehr auf Suspense, Terror und Horror aus – und rief: „Hilfe, Hilfe!“ Die Nachbarn dachten, da wäre ein Wahnsinniger, und als meine Eltern davon erfuhren, bekam ich Fernsehverbot. Doch wie man heute sieht, hat das alles nichts genützt. (lacht) Einer der Filme hieß „The Skyscraper“. Ich wusste die ganze Zeit schon, dass ich Filmregisseur werden wollte, und habe das sehr konsequent verfolgt. Am Gymnasium haben wir Super-8-Filme gedreht, und sofort nach dem Abitur bin ich an der Filmhochschule aufgenommen worden.

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DEADLINE: Um heute an einer Filmhochschule aufgenommen zu werden, muss man einen langwierigen Prozess durchlaufen. Wie war das damals?

 

Robert Sigl: Eigentlich genauso. Meine Aufgabe war damals, eine eigene Fotoserie zu einer Sequenz in einem Film zu entwickeln. Ich habe da – natürlich – wieder etwas Makabres gewählt: Eine Bauernfamilie entsorgt einen Großvater mit einem Messer. Das muss die Kommission von den Einstellungen her sehr beeindruckt haben. Obwohl ich durch meine Interessen etwas verrufen war, wurde ich sofort genommen. Es war sehr leicht für mich, das muss ich wirklich zugeben. Von anderen habe ich ganz andere Geschichten gehört. Einige Studenten waren sehr verzweifelt, einer hatte sogar mal gedroht, sich umzubringen, sollte er nicht genommen werden.

Aber auch ich kenne diese Enttäuschung. In den letzten 30 Jahren ist es ja mehr als einmal passiert, dass Film- und Kinoprojekte von mir abgeschmettert wurden. Das ist kein leichter Weg – immer noch!

 

DEADLINE: Vor LAURIN hast du zwei Kurzfilme gemacht.

 

Robert Sigl: Die gingen thematisch in eine ähnliche Richtung. Es handelte sich hierbei um den sogenannten „Erwachsenen-Horror“. Ich habe mich schon während meiner Jugend ganz viel mit Tiefenpsychologie beschäftigt, auch mit dem Absurden Theater. Mein erster Kurzfilm hieß DIE HÜTTE, und darin ging es um eine Schwarzafrikanerin, die in einer Hütte dahinvegetiert und sich einbildet, dass ihr totes Baby noch leben und immer schreien würde. Am Ende stellt sich jedoch heraus, dass sie nur eine schwarze Puppe in einer Waschschüssel hat und ihre Hütte auf nichts weiter als einem Trümmerhaufen steht. Der Film wurde an der Hochschule sehr gut aufgenommen.

Danach habe ich DER WEIHNACHTSBAUM gemacht – der übrigens auch auf der LAURIN-Blu-ray von Bildstörung enthalten sein wird. Wir wollten auch DIE HÜTTE dazutun, doch leider ist der Film verschollen. DER WEIHNACHTSBAUM wurde an der Hochschule sehr schlecht aufgenommen, und man kam nicht mit dem Thema klar. Es ging um eine psychosexuelle sadomasochistische Beziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn am Weihnachtsabend. Doch dafür ist man hier einfach nicht aufnahmefähig. Hier werden nur Boy-meets-Girl-Filme gemacht, und Filme über Banküberfälle sind noch das Äußerste, das man sich traut. Man hat eine solche Berührungsangst vor der Tiefenpsychologie. Man hat nicht vor dem Horrorfilm, sondern vor der Beschäftigung mit der Seele Angst.

Es ist wirklich erschreckend, wie sehr sich das in den letzten 30 Jahren immer weiter manifestiert hat. Ich erlebe gerade mit einem Filmprojekt genau die gleichen Schwierigkeiten wie damals. Ich arbeite zurzeit an dem Titel THE PINK TRIANGLE JEW. Darin geht es um einen KZ-Lagerkommandanten und einen minderjährigen, homosexuellen Juden. Na, da bricht natürlich die große Bestürzung bei den deutschen Produzenten aus! Das kann man sich gar nicht vorstellen! Im Ausland ist man da viel offener. Bereits in den 70ern hat ja Lina Wertmüller einen Film mit Giancarlo Giannini gemacht, in dem es um die Beziehung seiner Figur zu einer KZ-Aufseherin ging. Damals sind so mutige Filme entstanden, aber in der Zwischenzeit ist das Kino immer harmloser geworden. Man bewegt sich immer mehr in Richtung „Prime-Time-“ oder gar „Vorabendserien-fähig“. Alles muss ab 12 oder, besser noch, ab 6 sein! Ich hatte mal ein Projekt, das hieß MEDUSA und war ganz ähnlich gelagert wie A CURE FOR WELLNESS, nur Jahre zuvor. Ich bekam zwar eine Drehbuchförderung, jedoch wurde die Produktionsförderung nicht gewährt. Ein Vorsitzender einer Landesmedienanstalt hatte getönt, dass das alles zu blutig und brutal sei und sie nie wieder Gelder für einen Film ab 16 frei machen würden. Das ist natürlich hanebüchen! Ein Oscar-Film wie DIE BLECHTROMMEL war ab 16, genauso wie andere Schlöndorff- oder Herzog-Filme. Wenn es nach denen ginge, müsste man heute die Hälfte der Filmgeschichte abschaffen! In diesem Klima kann man überhaupt gar keine gewagteren Themen mehr angehen, die werden sofort abgeschmettert.

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DEADLINE: LAURIN ist ja nun auch ein psychologisch sehr tiefer Film. Das war sehr ambitioniert von dir, mit Mitte zwanzig einen so anspruchsvollen Ausstattungsfilm mit internationaler Besetzung zu inszenieren. Wie konnte man so ein Projekt stemmen?

 

Robert Sigl: Die Idee zu LAURIN entstand mit dem Bild in meinem Kopf von einer jungen Frau in einem weiten, schwarzen Kapuzenmantel, die in einer stürmischen Gewitternacht über einen Friedhof eilt. Um dieses Bild herum habe ich dann die Geschichte gebaut. Die Förderanstalten und der produzierende Sender wurden wohl von der magischen Atmosphäre angezogen, dem Märchenhaften, das an Theodor Storms Schimmelreiter erinnerte. Die Geschichte sollte ja in Norddeutschland spielen. In der psychologischen Überlagerung der Story haben die Geldgeber jetzt nicht unbedingt so etwas Gewagtes gewittert. Letztlich konnte ich den Film so machen, wie es mir vorschwebte.

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DEADLINE: Ihr habt in Ungarn gedreht – inwieweit hat das Team dort einem so jungen, deutschen Regisseur vertraut?

 

Robert Sigl: Natürlich war ich ziemlich nervös. Ich kannte Geschichten von Schauspielern, die sich gewehrt haben, mit so jungen und unerfahrenen Regisseuren zu arbeiten – zumal die Ungarn sehr professionell sind. Ich habe wirklich mit den Stars des Landes für LAURIN gedreht, mit Hédi Temessy und Károly Eperjes, der auch schon in einigen István-Szabó-Filmen, mit dem Brandauer zusammen, gespielt hat. Ich muss sagen, dass meine Ängste im Nachhinein unbegründet waren, denn es wurde wirklich großes Vertrauen von der gesamten Crew in mich gesetzt, sodass wir tatsächlich traumhafte Dreharbeiten ohne jegliche Schwierigkeiten hatten.

 

DEADLINE: Wie hast du den Dreh vorbereitet? Der Film wirkt sehr durchorganisiert. Hast du alles in Storyboards geplant oder hier und da – als junger Regisseur – vor Ort improvisiert?

 

Robert Sigl: LAURIN war sehr sorgfältig vorbereitet. Von den Requisiten über die Farbgebung bis hin zu den spezifischen Einstellungen. In Ungarn hat man sehr gerne ein „Technisches Drehbuch“, in dem jede Einstellung genauestens beschrieben ist, damit jeder genau weiß, was er zu tun hat. Das ging alles reibungslos, ohne Improvisation. Inzwischen mache ich das aber doch schon manchmal, da ich natürlich mehr Routine und Erfahrung habe und trotz guter Vorbereitung mal abschweifen kann, wenn ich sehe, dass wir etwas zeitlich nicht schaffen oder etwas noch einfacher zu realisieren ist. Ich bin kein Freund von hektischen Schnitten und Tausenden Einstellungen von ein und demselben Menschen aus zig Kamerapositionen. Das nennt man „cover your ass“ und ist natürlich den Produzenten und Cuttern am liebsten, da sie sich dann ihren eigenen Film zusammenstellen können. Ich dagegen drehe so, dass nur meine Version möglich ist. Ich drehe nur, was notwendig ist. Dadurch habe ich eine sehr strenge Filmsprache. Mir ist wichtig, dass man sich in jeder Einstellung auf das Gezeigte konzentrieren kann und der Zuschauer geradezu hypnotisiert wird – das ist bei Regisseuren wie Michael Bay kaum möglich.

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DEADLINE: Inwieweit steht LAURIN für dich in einer Tradition des deutschen Horrorfilms?

 

Robert Sigl: Obwohl er in Ungarn mit ungarischen Schauspielern gedreht wurde, ist es ein deutscher Film. Die ganze Inspiration, meine Recherchen in Norddeutschland wurden alle in den Film transportiert. Im Film selbst ist ja von Ungarn nie die Rede, die Figuren tragen deutsche Namen. Aus Kostengründen mussten wir in Osteuropa drehen. Die historischen Aufbauten wären in Deutschland zu teuer geworden. Ich wollte visuell so opulent wie möglich sein. Gemeinsam mit dem Produzenten Bernie Stampfer haben wir uns dann entschieden, nach Ungarn zu gehen. Inzwischen habe ich schon oft in Osteuropa gedreht: in Tschechien, Polen oder auch Rumänien.

Er steht in der deutschen Tradition der Horrorfilme, da er auch diese Langsamkeit aufweist, wie sie ein Carl Theodor Dreyer in seinen Filmen wie etwa VAMPYR hatte. Das ist mein absoluter Lieblingsvampirfilm, der mir noch besser als NOSFERATU gefällt. Daran habe ich mich sehr orientiert. Obwohl er ja eigentlich ein dänischer Film ist, steht er trotzdem in der Tradition des deutschen Horrorkinos.

 

DEADLINE: Grimms Märchen scheinen eine wichtige Inspirationsquelle für dich gewesen zu sein. Wie bist du mit ihren Geschichten in Kontakt gekommen?

 

Robert Sigl: Das war wie mit meiner Begegnung mit den Bildern von TANZ DER VAMPIRE. Ich habe die Zeichnungen zu den Märchen in den Büchern gesehen und wurde sofort von ihnen in den Bann gezogen. Ich bin ein sehr visueller Mensch und brauche einfach Bilder. Das Theater würde mich jetzt nicht so faszinieren wie die Gestaltung von Bildern in der Kamera, bei der man die Blicke der Zuschauer mehr führen kann. Das ist mir ganz wichtig.

 

DEADLINE: Deine Hauptdarstellerin Dóra Szinetár spielt ganz großartig die Rolle der jungen Laurin. Wie hast du sie gefunden?

 

Robert Sigl: Sie ist die Tochter eines sehr berühmten ungarischen Operettenregisseurs, Miklos Szinetár. Ihre Mutter ist auch Schauspielerin, auf der Bühne. Dóra war knapp über zehn Jahre alt, als wir mit dem Dreh angefangen haben. Ich habe sie während der Vorführung des Musicals Les Misérables in der Rolle der Cosette gesehen und war begeistert von ihr. Sie hatte etwas leicht Zwergenhaftes, was ich für die Laurin suchte. Weiblich und klein, zerbrechlich und gleichzeitig burschikos sollte sie sein. Zusammen mit dem Produzenten habe ich sie zu Hause besucht, und obwohl es dann noch Castings mit vielen anderen Mädchen gab, wusste ich schon, dass ich sie als Laurin wollte. Die Arbeit mit ihr war fantastisch, sie war schon als Kind sehr professionell. Sehr intelligent, unglaublich, was sie für Fragen gestellt und Bemerkungen am Set gemacht hat. Nach 28 Jahren habe ich sie jetzt mal wiedergesehen, und das war ein sehr tolles Erlebnis. Sie hat jetzt selbst drei Kinder, hat sich aber kaum verändert. Ich bin total hingerissen von ihrem Charme und ihrer Intelligenz.

 

 

 

 

 

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DEADLINE: Im Bonusmaterial der alten DVD von LAURIN sagst du, dass du gerne einen Director’s Cut angefertigt hättest, das übrige Material jedoch verloren gegangen sei. Was hättest du gerne verändert?

 

Robert Sigl: Ich denke, man hätte einen noch besseren Film aus LAURIN machen können. Ganz am Anfang wird eigentlich die Familie des Zigeunerjungen eingeführt, die Mutter mit ihrem jüngeren Bruder am Flussufer. Diese Zigeunerin im schwarzen Kleid ist Van Rees dann entgegengelaufen und mit ihm bei der Kirche zusammengestoßen. Das war für ihn ein Schockerlebnis, da er sich an Flora erinnert gefühlt hat, nicht wissend, dass sie eigentlich die Mutter seines Mordopfers war. Die Produzenten haben das leider nicht verstanden und wollten das nicht. Vielleicht hätte ich das im Drehbuch mehr herausarbeiten müssen. Das hat nicht ganz hingehauen, hätte man jetzt im Nachhinein aber sicher machen können. Diese Linie wäre zum Beispiel im Director’s Cut verfolgt worden. Auch gab es etwa Einstellungen, in denen der Pastor dämonisch grinsend im Spiegel auftaucht, während Van Rees kurz vor seiner Mordabsicht mit der Kerze in den Spiegel schaut. Sein Vater verhöhnt ihn. Leider war die Qualität der Überblendungen im ungarischen Kopierwerk zu schlecht, um sie zu verwenden. Ich musste alle Überblendungen rausnehmen. Irgendwie konnten die das einfach nicht umsetzen, die Überblendungen waren viel zu schnell. Dabei waren sie sonst bei allem sehr professionell. Das übrige Material wurde dann leider vernichtet – mit Zustimmung der Produzenten. Man ging wohl davon aus, dass man es nicht mehr brauchen würde, und wollte keine Lagerkosten mehr dafür bezahlen. Es ist schade, dass ich darüber nicht informiert wurde. Inzwischen bezahle ich selbst die Lagergebühren für meine Filme und hätte das auch schon damals gemacht. Es ist einfach schade, dass das Material weg ist. Die herausgeschnittenen Szenen kommen aber noch mal – wenn auch in minderer Qualität – auf die Blu-ray, und ich werde sie auch kommentieren.

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DEADLINE: Wie wurde LAURIN damals aufgenommen? Du hast für ihn immerhin den Bayerischen Jugendfilmpreis erhalten.

 

Robert Sigl: Zunächst war es ein ziemlicher Plumps, ein Erwachen für mich. Ich hatte gehofft, dass man ihn besser aufnehmen und die Visualität und Atmosphäre loben würde, aber so war das mitnichten. Der Heinz Badewitz von den Hofer Filmtagen hat mir gesagt, dass er LAURIN nicht aufführt, weil ich mir damit selbst schaden würde. Meine Karriere wäre vorbei, wenn er öffentlich würde. Ich war so was von deprimiert und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Plötzlich kam dann der Bayerische Filmpreis. Im Gremium saßen Leute wie Eckhart Schmidt und Rosel Zech, die den Film sehr geliebt und wirklich dafür gekämpft haben, dass ich den Preis bekomme. Ich habe dann Stück für Stück eine Rehabilitation erlebt. Von dem legendären Peter Buchka – der inzwischen leider verstorben ist – gab es eine wunderbare Kritik in der Süddeutschen Zeitung, welche die Nörgler ein bisschen gestraft hat. Eine Art Wiedergutmachung. Der Bayerische Filmpreis und die Süddeutsche haben mir das künstlerische Leben gerettet.

 

DEADLINE: Wie ging es nach LAURIN für dich weiter?

 

Robert Sigl: Das Bundesinnenministerium hat mir ausrichten lassen, dass ich für diesen Film keinen Deutschen Filmpreis bekommen würde, da es zu viele byzantinische Gesichter gäbe. Das ist natürlich diametral zu dem, wie sie sich heute geben, wenn es um politische Korrektheit geht. Ich konnte das damals gar nicht glauben, wenn mir am Telefon etwas von „byzantinischen Gesichtern“ erzählt wurde. In Deutschland hat mich der Film gar nicht weitergebracht. Irgendwann hat ihn jedoch ein ZDF-Redakteur von der Kinder- und Jugendfilmabteilung gesehen und mir dann die Regie zu STELLA STELLARIS übertragen. Das war sechs Jahre später. Da bin ich dann nach Polen gegangen und habe diesen Märchen-Weihnachtsmehrteiler gedreht. Wieder auf 35 Millimeter, in 78 Tagen und erneut mit vielen Kindern. Das war auch eine wunderschöne Erfahrung. STELLA STELLARIS hatte für die damalige Zeit sehr viele Computertricks, schon fast revolutionär. Als dann die kanadisch-deutsche Koproduktion LEXX in Arbeit ging, haben die Executives von Showtime mich ausgewählt, da sie sehr begeistert von meinen Aufnahmen waren. Das war mein größter internationaler Sprung. Vielleicht habe ich den Fehler gemacht, nicht alles daranzusetzen, in Kanada oder den USA zu bleiben. Aus persönlichen Gründen bin ich dann nach Deutschland zurückgekehrt. Was mir aber bis heute geblieben ist, ist meine Freundschaft zu Malcolm McDowell, der mir zugesagt hat, immer wieder gerne mit mir zu drehen. Er soll nun sowohl in meinem SPIDER als auch in WURDILAK, einem vor mir liegenden Märchen-Fantasy-Projekt, mitspielen.

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DEADLINE: Du hast tolle Filme für das Fernsehen inszeniert und auch in deine Tatorte deinen Stil einfließen lassen. Dennoch, war und ist es nicht frustrierend, dass du keine weiteren Kinofilme machen konntest?

 

Robert Sigl: Ja, da ist natürlich die bereits angesprochene Ernüchterung. Bisher ist es ja auch dabei geblieben, dass ich nach LAURIN nie wieder einen Film nach eigenem Stoff und Drehbuch machen konnte – ich hoffe, das ändert sich bald. Ich musste bisher fast immer die Träume anderer umsetzen, und das ist nicht unbedingt so angenehm. Vor allem beim Tatort. Bei DER RACHEENGEL musste ich sehr viel am Drehbuch machen. Bis heute ist es schwer für mich, ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen. Immer wieder habe ich Förderanträge eingereicht. Dabei war auch eine Adaption von Dan Simmons’ CHILDREN OF THE NIGHT. Mit ihm verbindet mich seitdem eine sehr innige Freundschaft, und er möchte unbedingt mit mir arbeiten. Er hat mir versprochen, dass er bei jedem Anklopfen von Hollywood mich als Regisseur vorschlagen wird. Children of the Night war damals schon ein Bestseller. Er hat mir und der Produktion den Roman zur Adaption freigegeben und selbst das Drehbuch geschrieben – gegen Warner Bros.’ Wunsch. Er wollte keine Hollywood-Verzerrung, sondern einen europäischen Touch. Dabei ist es bis heute leider geblieben. Obwohl wir einen Verleih in den USA hatten, der den Film auf 4.000 Leinwänden rausgebracht hätte, haben wir keine Förderung bekommen. Die Bayerische Filmförderung hat Nein gesagt. Genau wie bei meinem vorherigen Projekt SPIDER, bei dem ich schon Keanu Reeves’ Zusage für die Hauptrolle hatte. Die wussten gar nicht, wer das ist! Für 600.000 Dollar hätte er mitgemacht – das war kurz vor SPEED. Auch die FFA aus Berlin hat uns abgelehnt. Es müssen eben amerikanische Produzenten kommen, vor denen kriechen sie. Die bekommen die Förderung für Horrorfilme. Für MEDUSA hatte ich ja keine Förderung bekommen, da wurde noch groß getönt, dass sie Horror nicht unterstützen würden. Und dann kam A CURE FOR WELLNESS und hat jede Förderung abgegrast. Bei Hollywood knicken sie sofort ein – genau wie bei Lars von Trier, der für seinen ANTICHRIST Förderung bekommen hat. Da sieht man, wie der Schwanz von Willem Dafoe abgewichst wird und das Blut nur so rausspritzt, und sie schnippelt an ihrer Klitoris rum. Da haben die Deutschen auf einmal keine Probleme, denn sie haben ja dann einen internationalen Vorzeige-Regisseur, mit dem sie sich rühmen können. Das habe ich auch in dem Dokumentarfilm von Dominik Graf, VERFLUCHTE LIEBE DEUTSCHER FILM, und seiner Fortsetzung OFFENE WUNDE DEUTSCHER FILM gesagt. Auch bei der Premiere in Berlin habe ich das noch mal wiederholt.

 

DEADLINE: Siehst du für die Zukunft da Besserung?

 

Robert Sigl: Nein, überhaupt nicht. Es wird noch schlimmer.

 

DEADLINE: Siehst du den Kontrast nur zwischen den USA und Deutschland oder auch zwischen uns und anderen europäischen Ländern? Gab es Überlegungen, beispielsweise nach Frankreich zu gehen?

 

Robert Sigl: Natürlich habe ich überlegt, nach England, Frankreich oder Spanien zu gehen, weil mir die Filme dort sehr gefallen. Aber diese Länder brauchen keinen deutschen Regisseur, der in seinem eigenen Land keinen Erfolg hat. Die denken, dass mit mir etwas nicht stimmen muss. Ist ja auch verständlich, wenn man im eigenen Land so abgelehnt wird. Wenn man den Franzosen oder Amerikanern von den Zuständen hier erzählt, gibt es großes Kopfschütteln und Verständnislosigkeit – das können die sich gar nicht vorstellen. Diese Sucht nach Harmlosigkeit bei uns ist manisch. Alles muss immer Sonne haben – sogar vor schlechtem Wetter in Filmen haben die Angst. Ein Produzent hat mal gerufen: „Ich will keine Nacht im Keller, bei mir ist auch im Keller immer Sommer!“ (lacht) Das ist ungeheuerlich. Die Deutschen haben so viele Befindlichkeiten, so kann man einfach keine Filme machen.

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DEADLINE: Wo ist die Perspektive für junge Filmemacher? Ab und an mal einen Fernsehfilm oder eine Auftragsarbeit fürs Kino zu realisieren kann ja nicht erstrebenswert sein.

Robert Sigl: Also ich habe schon Spaß an einigen Produktionen gehabt, vor allem an STELLA STELLARIS und LEXX. Die waren fantastisch. Ganz toll war auch die Möglichkeit, für ProSieben und die UFA HEPZIBAH auf Englisch mit britischen Schauspielern zu machen. Das konnte ich durchsetzen, in Prag und Umgebung in diesen tollen Kulissen diesen Hexenfilm machen zu können. Die britischen Schauspieler waren fantastisch. Eleanor Tomlinson ist ja inzwischen ein Star, David Bamber war Hitler in dem Tom-Cruise-Film VALKYRIE, und Murray Melvin ist ja auch eine Ikone. Tolle Schauspieler. Ich hatte also durchaus schon tolle Erlebnisse mit dem deutschen Fernsehen. Verrückterweise kann man hier im Fernsehen eher solche Projekte realisieren als im Kino. In den Kino-Gremien sitzen 12, 14 Leute, von denen jeder eine Befindlichkeit hat. Die eine hat als Kind was Gruseliges erlebt, wie zum Beispiel das Ertrinken eines Kindes, und deswegen kann sie heute keine Filme mehr unterstützen, in denen Kindern etwas zustößt, und so weiter. Es gibt immer irgendetwas. Sie bringen ihr Privatleben in diese Entscheidungen – so kann man keine Kunst machen. Das Ergebnis sind harmlose Filme, alles, was radikal und aufsehenerregend ist, wird vom Tisch gekehrt. Sie können noch so gut behaupten, dass es keine guten Konzepte gibt, wie etwa Kirsten Niehuus. Sie antwortet auf die Fragen der Journalisten, warum keine mutigeren Filme gemacht werden, dass es sie nicht gäbe. Das ist natürlich Unsinn. Eine absolute Unwahrheit. Natürlich gibt es sie, aber sie trauen sich nicht. Die Filmförderung ist auch politisch viel zu stark kontrolliert.

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DEADLINE: Zum Abschluss noch mal was Erfreuliches: Die neue Veröffentlichung von LAURIN aus dem Hause Bildstörung ist eine tolle Würdigung deines Films. Du hast mit Bildstörung dafür eng zusammengearbeitet.

 

Robert Sigl: Ich war natürlich total begeistert, dass Bildstörung sich dieses Films angenommen und auch eine Restaurierung gemacht hat. Weder die spanische noch die britische DVD waren in einem guten Zustand. LAURIN wurde in viele Länder verkauft und hat eigentlich sein Wiederaufleben durch das Ausland erreichen können. In England wurde er von Redemption veröffentlicht, auf VHS, in ziemlich schlimmer Qualität. Durch diese Version ist aber Marcus Stiglegger auf LAURIN aufmerksam geworden und hat mich zu ihm interviewt. Marcus war einer der ganz wichtigen Bausteine dabei, dass der Film hierzulande wiederentdeckt wurde. Ebenso Holger Bals von EMS, der erfahren hat, dass man den Film auf DVD wieder veröffentlichen könne, und ihn sofort geholt hat. Durch die neue Qualität wird man mit der Bildstörung-Blu-ray den Film wieder so erleben können wie damals auf der Leinwand. 35 Millimeter ist sehr körnig, was ich liebe. Man sieht die Details, die tolle Arbeit der Ausstatter einfach viel besser. Da wurde so viel Sorgfalt in die Atmosphäre und Requisiten gesteckt, die man jetzt wieder genießen kann. Die Qualität ist hervorragend. Außerdem gibt es einen neuen Audiokommentar von mir. Und auch das Cover ist ganz toll geworden. Ich arbeite sehr gerne mit Bildstörung zusammen. Eine wunderbare Edition.

 

 

DEADLINE: Robert, ich danke dir für dieses schöne Interview zu deinem LAURIN und hoffe, dass wir bald einige von deinen Projekten, die schon länger in den Schubladen schlummern, auf der großen Leinwand sehen können.

 

Interview geführt von Leonhard Elias Lemke